Eine Farbe, eine Stimmung, ein Zeichen der Wut. Mit dem Credo sind The Murder Capital vor knapp drei Jahren mit ihrem Debütalbum „When I Have Fears“ durchgestartet. Was danach kam, war ein Leere, eine Pandemie und das Gefühl sich als Mensch aber auch als Band neu kennenlernen zu müssen. Dies haben sie mithilfe von „Gigi’s Recovery“ nun getan.
Auf dem Album zeigen die fünf Musiker gleich mehrere neue Facetten von sich und nehmen uns zeitgleich mit auf eine Reise zu Gigi. Gigi, eine Person, die jede:r von uns sein könnte. Wir haben Cathal Roper, dem Gitarristen der Band, über ihre Auszeit, die bewusste Entscheidung zum neuen Sound, den Druck als Musiker:in und ihre Evolution als Band gesprochen.
Wie beschreibt man das Gefühl, das man als Musiker:in ein paar Tage vor Release hat?
Irgendwie ist es noch nicht so richtig bei mir angekommen, wenn ich ehrlich bin. Erst bei den Live-Proben kam dieses Gefühl von „bald ist es so weit“ auf. Irgendwie löst es eine Mischung aus Angst und Erleichterung in mir aus.
War das anders, als ihr „Only Good Things“ nach knapp 2,5 Jahren veröffentlicht habt?
Es ist auf jeden Fall viel passiert seitdem. Der Single-Release war unser erster Fuß zurück in die Tür. „Only Good Things“ klingt anders als jeder unserer alten Songs. Wir wollten einen etwas provokativeren Weg damit einschlagen, waren natürlich direkt im Anschluss sehr gespannt, wie die Reaktionen ausfallen. Ich denke, dass die Meinung der Leute sich auch noch einmal ändern wird, wenn sie das Album in voller Länge hören. Es ist auf jeden Fall im Gesamtkontext zu betrachten. Ich weiß nicht, ob sich die Fans mit den vier bereits erschienenen Songs ein Bild von dem machen konnten, was sie auf „Gigi’s Recovery“ erwartet.
“Gigi’s Recovery” wirkt in seiner Gesamtheit als Album noch einmal anders als jeder der einzelnen Songs. Gab es hier jemals Druck von Labels oder dem Management – auch im Hinblick auf das Thema Streaming?
Streaming war nie ein wirklicher Diskussionspunkt bei uns. Es war aber so, dass wir mehrmals die Situation hatten, dass wir Songschnipsel oder Demos geteilt haben und das Feedback kam: „Nein. Ihr seid noch nicht da, wo ihr hinwollt“. Das war im ersten Moment ein wahnsinnig entmutigendes Gefühl für uns. Rückblickend bin ich aber sehr dankbar, dass sie reagiert haben. Das hat uns sicherlich geholfen dahin zu kommen, wo wir jetzt mit „Gigi’s Recovery“ stehen.
„Wir haben bei null angefangen und im Endeffekt neu lernen müssen als Band eine Platte aufzunehmen“
2,5 Jahre sind in der heutigen Zeit doch eine längere Zeit. War das zusätzlicher Druck für euch?
Wäre Corona nicht gewesen, hätten wir sicherlich noch mehr Druck gespürt. Der Druck kam auch viel von uns selbst und dem Ziel es nicht nur gut, sondern richtig gut machen zu wollen. Wir haben so viel durchgemacht die letzten drei Jahre, auch als Band.
Wir haben bei null angefangen und im Endeffekt neu lernen müssen als Band eine Platte aufzunehmen. Sieht man von der Tatsache ab, war der Druck gar nicht so immens groß. Ich glaube, das hängt auch damit zusammen, dass wir es in einer Zeit aufgenommen haben, in der es nie den richtigen Augenblick für ein Release gab. Man hätte noch so viel Zeit, Leidenschaft und auch Geld in das Album stecken können. Im Endeffekt hätten wir aber eh nicht mit dem Album auf Tour gehen können. Stattdessen hätten wir zuhause gesessen und am Tag des Releases die Kommentare und das Feedback auf Instagram lesen können. Viel mehr Handlungsspielraum gab nicht.
Deswegen hatten wir immer die Idee im Hinterkopf das Album direkt nach Corona zu veröffentlichen aber selbst das hat sich jetzt irgendwie fast ein Jahr hingezogen. Es fühlt sich jetzt aber nach genau der richtigen Zeit für uns an.
Würdet ihr denn sagen, dass die Pandemie den Output auf dem Album maßgeblich beeinflusst hat?
Auf jeden Fall. Ich würde nie das Umfeld leugnen wollen. Es ist jetzt nicht so, dass wir direkt über Corona in unseren Texten geschrieben haben, aber es ist schon so, dass das ganze Befinden dieses Gefühl der Introspektion verstärkt hat. Wenn man über eine längere Zeit wenig Leute sieht, eher isoliert lebt, fängt man an über sich selbst nachzudenken. Introspektion ist sicherlich ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch sämtliche Songs auf dem Album zieht.
„Wir haben uns auch als Band viel mehr mit unseren eigenen Problemen konfrontiert“
Auf eurem letzten Album ging es sehr viel um Themen wie Verlust, Tod oder Schmerz. Der ganze Vibe war sehr düster und schwarz. Bei „Gigi’s Recovery“ ist das etwas anders und doch würde ich behaupten, dass ihr euch als Band so verletzlich wie nie zeigt. Würdest du dem zustimmen?
Dem würde ich zu 100% zustimmen! Unser erstes Album war sehr stark von Reaktionen geprägt. Eine Reaktion auf die Umstände, die einen beeinflussen. Bei Gigi, um ihn einmal als fiktive Person des Albums zu nennen, sieht das anders aus. Er handelt aus der Selbstbeobachtung heraus. Wir haben uns auch als Band viel mehr mit unseren eigenen Problemen konfrontiert.
Würdest du denn behaupten, dass es leichter ist in die Vergangenheit zu blicken als in die Zukunft?
Es fällt schwer zu entscheiden, ob das Eine leichter ist als das Andere. Es hängt natürlich immer davon ab, welche Zeit man gerade durchmacht. Manche Sachen aus der Vergangenheit packen dich und halten dich fest. Auf dem Album gibt es aber diese Momente, wo man realisiert, dass manche Sachen in der Vergangenheit einen viel zu lange gefesselt haben. Es ist nicht immer leicht diese Kraft zu entwickeln und herauszufinden, was einem dabei hilft loszulassen. Wir mussten als Individuen aber auch als Band erst herausfinden, wer wir sind. Es war ein langer Prozess der Selbstakzeptanz. Es ist ein besonderes Gefühl, wenn man herausfindet, welche Bestandteile einen ausmachen.
Erst wenn man das herausgefunden hat, ist der Weg in die Zukunft wenig gebremst. Dennoch ist es so, dass es einem manchmal schwerfällt, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Dieses Gefühl von Sorge beeinflusst dann oftmals auch dein alltägliches Sein.
Inwiefern greift des Artwork des Albums das inhaltliche Thema auf?
Das Artwork kommt von unserem Freund Peter Doyle. Wir haben ihn 2020 getroffen, als wir gerade in Dublin angefangen haben am Album zu arbeiten. Und irgendwie hat sich schnell herausgestellt, dass er unser Artwork gestalten sollte. Ab dem Zeitpunkt hat er eigentlich 1,5 Jahre darauf gewartet loslegen zu können. Dann haben wir die ersten Demos mit ihm geteilt und haben ihm die künstlerische Freiheit gelassen es in seinem Stil zu gestalten.
Uns gefiel die Idee, dass diese Person Gigi, in einem Haus sitzend, in das Album schaut, weil es eben dieses Bild der Introspektion auf eine gewisse Art aufgreift. Bilder wie die Vase, die Sterne oder auch die Zitrone greifen diese Momenthaftigkeit auf, die das Album an manchen Stellen hat.
Sollte man „Gigi’s Recovery“ also eher als Neustart oder doch als Evolution wahrnehmen?
Auf jeden Fall eine Evolution! Ich würde nicht von einem Neustart sprechen, da uns das Gefühl von „When I Have Fears“ noch immer begleitet. Wenn man im Studio sitzt und an dem zweiten Album arbeitet, muss man sich bewusst werden, dass man bisher eben nur diesen eine Snippet von sich als Band gezeigt hat. Dabei sind wir als Band immer bestrebt einen neuen Sound, neue Ideen, zu entdecken. Der Sound und die Phasen der jeweiligen Alben werden mit jedem Release klarer, weil man mehr Vergleichsbeispiele hat.
Ihr habt euch als Band lange in dem Schreibprozess befunden. War es auch eine Art Safe Space für euch?
Der Safe Space könnte auf jeden Fall safer sein (lacht). Wenn man von Beginn an weiß in welche Richtung es bei dem Album gehen soll, ist es sicherlich um einiges leichter. Wir waren währenddessen nicht immer auf einer Wellenlänge, was das angeht.
Hat es euch denn viel Kraft gekostet auf eine Wellenlänge zu kommen?
Wir haben auf jeden Fall sehr viel dabei gelernt. Es war zeitweise hart mehrere Meinungen auf einen Nenner zu bringen. Wir haben viel über uns als Band gelernt und was es bedeutet Teil einer Band zu sein.
Kann man also behaupten, dass The Murder Capital durch „Gigi’s Recovery“ jetzt stärker zusammengewachsen ist als noch auf „When I Have Fears?“
Auf jeden Fall. Auch wenn wir uns natürlich davor schon ausgetauscht haben, darf man nicht vergessen, dass wir bei „When I Have Fears“ erst sechs Monate als Band existiert haben. Viele unserer Entscheidungen damals, sind aus einem Gefühl der Angst heraus entstanden. Ich finde nicht, dass wir dieses Gefühl heute noch als Band mit uns herumtragen.
Dann ist euch das Label „Post Punk Band“ damals sicherlich entgegengekommen? Habt ihr euch jemals selbst in der gleichen Bubble wie Idles, Fontaines DC gesehen oder würdet ihr sagen, dass ihr als Band nie Teil diese Szene sein wolltet?
Zu einem gewissen Teil konnte man uns schon dazuzählen, denke ich. Man muss aber sagen, dass dieses Label „Post Punk“ zu der Zeit irgendwie mit sämtlichen Bands, die einen neuen Sound hatten, assoziiert hat. Ich würde Fontaines DC und black midi zum Beispiel nie im Leben dem gleichen Genre zuordnen und doch liest man auch da immer „Post Punk“. Es gab aber auf einmal dieses Publikum für Bands, die sich getraut haben etwas Neues zu machen – und das war sozusagen das Label, der Name dafür. So betrachtet, könnte man uns schon diesem Label zuordnen. Ich würde jedoch nicht behaupten, dass wir klingen wie irgendeine dieser Bands. Wenn überhaupt, klingt „When I Have Fears“ wie die Post Punk Bands der 80er. Es gibt aber eben auch viele Momente auf denen wir eben gar nicht so klingen.
Hattet ihr bei den Live-Proben zu einem gewissen Zeitpunkt die Sorge, dass ihr beide Alben auf der Bühne nicht miteinander verheiratet bekommt?
Eigentlich nicht. Auch wenn ein paar neue Songs vielleicht nicht die Wucht der Tracks auf „When I Have Fears“ haben, wirken sie doch insgesamt irgendwie größer und dadurch präsenter. Wir können es auf jeden Fall kaum erwarten, wenn die Fans die Songs mitsingen und darauf reagieren. Der Track „Crying“ hat auf jeden Fall das Potenzial dazu ein richtig starker Song in der Setlist zu werden. Auch „The Stars Will Leave Their Stage“ könnte live super funktionieren.
Was ist denn abschließend deiner Meinung nach die perfekte Umgebung um „Gigi’s Recovery“ zu hören?
Gute Frage. Es ist Abend, man sitzt auf der Couch, hat die Platte über eine gute Sound-Anlage auf dem Plattenspieler laufen. Ich persönlich mag es aber auch total gerne, wenn ich meine Kopfhörer anziehen kann und nur für mich einen Spaziergang im Park mache.
Ich betrachte „Gigi’s Recovery“, im Gegensatz zu dem Winter-Album „When I Have Fears“ als Frühlings-Platte. Es gibt mir ein Gefühl von „Rauskommen“ um zu sich zu finden…
Es tut gut, dass die Platte genau das Gefühl bei den Leuten auslöst!