„Viele Menschen haben sich vielleicht einfach verarscht gefühlt“, reflektiert Dagobert die bisherige Rezeption seiner Musik. Mittlerweile fühlt er sich ernst genommen und genießt die neu gewonnene Freiheit. Wir haben mit dem Musiker über sein neues Album „Jäger“, die Schweizer Berge und über Nietzsche gesprochen. Doch letztendlich dreht sich alles um die Liebe.
Der selbsternannte Schnulzensänger Dagobert aus den Bergen ist nach Jahren in Berlin wieder dorthin gezogen, wo alles begonnen hat. In die Schweizer Berge, in ein abgelegenes Haus, das ihm ein Freund für die Zeit der Album-Produktion zur Verfügung gestellt hat. Dort leistete ihm Produzent Konrad Bettcher Gesellschaft aber auch sonst war ihm kein Leben in Isolation vergönnt.
„Es kamen ganz viele Musiker vorbei, die hier mal ne Gitarre eingespielt oder da ne Flasche Schnaps weggesoffen haben.“ Während für viele die Wohnungen in der Stadt pandemie-bedingt enger und soziale Kontakte auf ein Minimum reduziert wurden, hatte sich Dagobert schon längst zur Albumproduktion in die Berge zurückgezogen. Drei Monate vor dem ersten Lockdown, als hätte er was geahnt. Er gibt zu, dass das Timing ideal aber der Umzug in die Schweiz selbst gar nicht geplant war.
„Ich musste aus meiner Wohnung in Berlin raus und ich habe mir selbst noch nie in meinem Leben eine Wohnung leisten können. Deshalb war ich darauf angewiesen, dass mich wieder irgendein Freund durchbringt und so kam ich zu diesem leerstehenden Haus. Das ist alles sehr plötzlich passiert. Ich hab sowieso keine Kontrolle über mein Leben. ich lasse Dinge einfach geschehen und damit bin ich bisher gut gefahren.“
Nicht nur die Abgeschiedenheit, sondern auch die Natur scheint ihm gut zu tun. Im Gespräch erzählt er, dass er die Stille langer Waldspaziergänge genießt und er aus den meditativen Momenten mehr Inspiration zieht, als durch das Treiben der Großstadt.
„In Berlin musste ich mich immer künstlich in diese Situation versetzen, indem ich stundenlang in der Wohnung auf und ab gegangen bin und hier ist alles ein bisschen einfacher. Man atmet einmal tief durch, schaut ins Tal und dann läufts.“ Dabei entstehen auch Songs wie „Im Wald“, in dem die Natur als bedrohliches Motiv funktioniert. Unheimlichkeit und Beklemmung, statt friedliche Idylle. Dies war dem Umstand geschuldet, dass er vor einem nächtlichen Waldspaziergang zwei Horrorfilme geschaut hat. Die Frage, ob er Natur auch als bedrohlich wahrnimmt, verneint er. Zwar gäbe es Naturgewalten, denen man als Mensch hilflos ausgesetzt sei, aber letztendlich habe er sowieso keine Kontrolle über sein Songwriting. Es passiert einfach.
Dagobert verfolgt keine Agenda. Die Inspiration des Moments bleibt ständiger Selbstzweck und auch wenn die Texte ernster und die Themen existenzieller werden, bleibt die Intuition die treibende Kraft. So kommen auch die Auseinandersetzungen mit dem Tod oder der Seele ohne akademisches Gehabe aus. Wo andere Bands ihren intellektuellen Diskurs-Pop zur Schau stellen, bewahrt sich Dagobert den persönlichen Zugang zur Welt.
In mehreren Songs besingt er die Seele und deren mögliche Existenz nach dem Tod. Ob er daran glaube? Er wirkt von der Frage überrascht. Ihm war gar nicht bewusst, dass er das Wort Seele überhaupt verwendet hat. Letztendlich sei ihm das aber auch egal.
„Was auch immer passieren wird, es hat ja keinen wirklichen Einfluss auf das, was mit uns jetzt los ist. Für mich ist es irrelevant, schon weil ich es nie wissen werde.“ Er lebt jetzt und um alles andere kann er sich später kümmern. Ist das Genügsamkeit? Konzept? Im Pressetext zu seinem Album wird auf seine Auseinandersetzung mit Nietzsches „Ewiger Wiederkunft“ hingewiesen. Eine Theorie, nach welcher alles bereits geschehen ist und wieder geschehen wird, da das Universum und die Zeit unendlich, die möglichen Konstellationen der Materie aber begrenzt sind. Resultiert daraus seine Haltung, dass alles letztendlich irrelevant ist?
„Also egal ist sowieso alles, es kommt ja nur auf die Perspektive an. Wenn wir alles mit ein bisschen Abstand betrachten, können wir kaum noch einen Sinn in irgendwas erkennen. Aber das heißt nicht, dass man sich keinen schönen Sinn ins Leben hineinlügen kann, um sich eine gute Zeit machen zu können. Und wenn die so gut ist, dass man letztendlich Lust darauf hat, dass alles genau so wieder passieren könnte, dann hat man sicher nicht so viel falsch gemacht.“
Also doch nur Hedonismus? Vermutlich nicht. Eher der Versuch, mit dem gerade erreicht zufrieden zu sein und das beste aus der kurzen Zeit zu machen, die uns gegeben ist. Dass Arbeit dabei eher hinderlich ist, beweist „Nie wieder arbeiten.“ Und auch wenn das Video zum Song es vermuten ließe, geht es ihm dabei nicht um Faulenzen und tagelanges Dosenbier trinken.
„Musik ist für mich definitiv keine Arbeit. Eigentlich ist der Titel auch irreführend, weil ich noch nie im Leben wirklich gearbeitet habe. Ich hab immer nur Musik gemacht und das hat sich nie wie Arbeit angefühlt.“
Der Song wirkt deutlich unbeschwerter als das gesamte vorherige Album. Dagobert erzählt, dass er lange das Gefühl hatte, nicht für voll genommen zu werden. Mit dem letzten Album wollte er zeigen, dass ihm die Musik ein ernstes Anliegen ist. Bei der Produktion von Jäger konnte er sich wieder freier auf den Schaffensprozess einlassen, ohne jemandem etwas beweisen zu müssen.
Dies zeigt schon der Opener „For the love of Marie“. Eine Liebeserklärung an die Liebe selbst. Auf die Frage nach der Inspiration erzählt er von der Liebe als Quelle seiner Kreativität.
„Ich hab seit über zehn Jahren das erste Mal wieder eine richtige Muse und mit der läuft gar nichts. Es besteht gar nicht die Möglichkeit, dass daraus jemals etwas werden könnte und das ist zum Schreiben die beste Voraussetzung. Dadurch besteht nie die Gefahr, dass es zu profan werden könnte. Das ist ein ständiger Antrieb und ich bin sehr glücklich, dass ich wieder in so einer Lage bin.“
Die unerwiderte Liebe als zentraler Bestandteil des künstlerischen Schaffens. Was in dieser Ernsthaftigkeit nach einem Klischee klingt, ergibt bei Dagobert Sinn. Er gibt selbst zu, dass diese Einstellung etwas unsozial erscheinen könnte, aber letztendlich habe er die Musik immer über alles gestellt – seine Einstellung zur Liebe ist nur die logische Konsequenz.
„Ich hätte nie aufgehört Musiker zu sein, damit ich irgendwen glücklich machen kann in einem Familienleben. Blödsinn.“ Dennoch spielt die Familie auf „Jäger“ eine zentrale Rolle. Das Album ist nach seinem bürgerlichen Namen betitelt und im dazugehörigen Song reflektiert er den eigenen Familienbezug.
„Egal wie weit du dich von deinen Eltern entfernst, egal wie anders dein Leben ist, du hast trotzdem dieselben Gene und du wirst immer wieder mal merken, dass du eigentlich doch ein Produkt deiner Eltern bist.“ Dagobert hat sich der Musik verschrieben und damit lebt er gut. In „Für Dagobert“ spricht er sich selbst Mut zu: „Niemand denkt wie du, niemand fühlt wie du“. Vielleicht offenbart sich in Zeilen wie diesen das Selbstverständnis des Musikers. Dagobert ist sich seiner Eigenarten bewusst, aber er hat gelernt, diese als zentralen Bestandteil seines Schaffens in den Vordergrund zu stellen. Und so sehr ihn das Unverständnis ihm gegenüber lange frustriert hat, so sehr genießt er die Position, die er sich über die Zeit erarbeitet hat.
Der einsame Künstler, der sich voller Selbstaufopferung der Musik widmet und aus der Liebe seine Inspiration schöpft. Es klingt fast zu schlüssig, um wahr zu sein. Das ließe sich alles hinterfragen, lässt sich aber auch dankbar akzeptierend. Denn wozu hinter die Kulissen blicken wollen, wenn das Ergebnis so berührend sein kann? Um es mit Dagoberts Worten zu sagen: „Wenn nicht mindestens ein Leben investiert wird in die Kunst, was soll sie dann schon wert sein?“