Indie Band und TikTok-Hype – passt das zusammen? The Rills im Interview

The Rills sind eine junge Indie-Punk Band aus Lincoln. Mittlerweile wohnen sie in London und konnten einige Shows in den kleinen Clubs der Stadt spielen. Soweit, so normal. Dann: Lockdown, Social-Distancing und viel Langeweile. Warum also nicht auf TikTok aktiv werden? Zunächst nicht so begeistert von der Idee haben Mitch, Callum und Mason dort mittlerweile die 100.000 Follower:innen geknackt. Wir haben mit Sänger Mitch über den Hype auf TikTok, Selbstfindung und Wünsche für die Zukunft gesprochen.

Die Pandemie ist offenkundig ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite sind Solo-Selbstständige, Kulturschaffende und Gastronomen, dessen Existenzen bedroht sind. Auf der anderen Seite die großen Profiteure wie Amazon und Co. Allen voran Künstler:innen sind ständig auf der Suche nach neuen Mitteln und Wegen, um ihre Kunst auch in Zeiten von Kontaktbeschränkungen einem möglichst großen Publikum zugänglich machen zu können. Eine Band, der dies ausgesprochen gut gelungen ist, sind The Rills. Wir trafen Sänger Mitch passend zum Release ihrer neuen Single

Wie sah euer bisheriger Werdegang als Band vor der Pandemie aus?

Ich habe Callum, unseren Bassisten, kennengelernt, als wir 14 waren. Ich habe immer versucht eine Band zu gründen, aber in Lincoln, wo ich herkomme, hatte ich jahrelang Probleme einen Bassisten zu finden. Callum war ursprünglich nur Gitarrist, aber ich habe ihn schließlich gefragt, ob er nicht Lust hätte, sich am Bass zu versuchen. Das ist jetzt sechs Jahre her und jetzt ist er sehr gut darin (lacht).

Dann sind wir nach Sheffield gezogen, um in eine etwas größere Musikszene zu kommen. In Lincoln gab es nicht wirklich viele Möglichkeiten für aufstrebende Bands, dort herrscht generell eine gewisse Kleinstadt-Mentalität. Wir verbrachten sechs Monate in Sheffield, wo wir hauptsächlich an unserer Musik gearbeitet haben. Schließlich haben wir den nächsten Schritt gewagt und sind nach London gezogen. Noch in der ersten Woche haben wir dort Mason, unseren Schlagzeuger getroffen. Unser alter Manager hatte uns Ende der Woche einen Gig gebucht und den haben wir nach einigen Proben auch direkt zusammen mit Mason gespielt. Das war ziemlich verrückt, aber wir haben sofort gewusst, dass er in die Band passt!

Welchen Stellenwert hat das live spielen für euch? Wie geht es euch jetzt damit, keinen direkten Austausch mehr zu euren Fans zu haben, gerade jetzt, wo eure Zuhörerschaft immens wächst?

Auftritte sind für Bands überlebenswichtig! Wir sind extra zweimal in eine andere Stadt gezogen, weil wir live spielen wollten. Es fängt ja bei fast jeder Band so an, dass sie in kleinen Locations vor einer Handvoll Leuten spielen. Und das trainiert einen wirklich! Es klingt lächerlich, aber je weniger Leute in der Menge waren, desto mehr Sorgen habe ich mir im Vorfeld gemacht. Man entwickelt sich viel schneller, wenn man rausgeht und Gigs spielt. Ich vermisse das wirklich sehr, aber man muss sich irgendwie daran gewöhnen.

Deshalb ist es einerseits ein seltsames Gefühl, dass wir als Band mittlerweile nur noch online stattfinden. Andererseits wäre ein solches Wachstum für eine Band wie uns ohne das Internet jedoch niemals möglich gewesen! Wir hatten vorher keinen großen Durchbruch. Wir wurden nie im Radio gespielt. Natürlich ist diese Zwangspause immer noch schrecklich und wir hätten gerne während der gesamten Zeit des Lockdowns live gespielt, aber immerhin gibt uns das Internet die Möglichkeit, unsere Musik so vielen verschiedenen neuen Menschen zeigen zu können.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, auf TikTok aktiv zu werden?

Im Grunde genommen kam unser derzeitiger Manager, ein guter Freund von mir, auf die Idee. Er kommt aus dem Musikjournalismus und ist sehr am Puls der Zeit. Schon vor dem Lockdown meinte er, dass wir uns einen TikTok Account zulegen müssen, um dort ein paar Videos zu drehen. Ehrlich gesagt waren wir anfangs nicht wirklich begeistert und hatten das Gefühl, dass das nicht zu uns passt. Als dann aber der Lockdown kam, gab es sowieso nichts mehr, was man hätte tun können. Und da wir ziemlich energiegeladene, hyperaktive Jungs sind, war es schlussendlich wie ein Segen. Endlich haben wir wieder etwas gefunden, was uns Spaß macht. Buchstäblich über Nacht sind Tausende von Menschen auf unsere Musik gestoßen und hören und lieben sie! Und das alles nur wegen diesen 15 Sekunden langen Videos.

@rillsbandWatch my sanity fall apart in less than 30 seconds ##indie ##arcticmonkeys ##indieband♬ Pyro – The Rills

„Endlich haben wir wieder etwas gefunden, was uns Spaß macht. Buchstäblich über Nacht sind Tausende von Menschen auf unsere Musik gestoßen und hören und lieben sie! Und das alles nur wegen diesen 15 Sekunden langen Videos.“

Wie hat sich eure Präsenz dort mittlerweile weiterentwickelt?

Anfangs haben wir nur ein paar Covers und andere typische Sachen hochgeladen, die man von einer Band erwarten würde. Mit der Zeit haben wir versucht, ein bisschen über den Tellerrand hinaus zu schauen und nicht daran zu denken, was eine typische Band tun würde. Wir orientieren uns mittlerweile daran, was wir als Charaktere mögen und welche Art von Identität wir repräsentieren wollen. Damit haben wir Erfolg, aber vor allem auch eine Menge Spaß!

Was schätzt ihr mittlerweile an TikTok und anderen sozialen Medien?

Ich liebe die Art und Weise, wie soziale Medien Künstler:innen die Möglichkeit bieten, ein riesiges Publikum zu erreichen, das sie ansonsten niemals hätten erreichen können. Ob TikTok selbst in Zukunft für eine Welle neuer Bands verantwortlich sein wird, weiß ich nicht. Aber meiner Meinung nach sollten sich alle Bands auf TikTok anmelden! Wir haben vor drei Jahren The Rills gegründet. In diesen drei Jahren hatten wir das Glück auf einigen Festivals spielen zu dürfen und etwa 1.000 Follower auf Instagram sammeln zu können. Aber jetzt, in den letzten sechs Monaten, hat sich diese Zahl mehr als verzehnfacht! Und unsere Follower:innen auf TikTok, diese 100.000 Leute, kamen aus dem Nichts! Einfach alles ist daraus entstanden.

Wurdet ihr auch mit Vorurteilen konfrontiert, oder weniger erst genommen, weil ihr den TikTok-Stempel aufgedrückt bekommen habt?

Durch die Pandemie und der Distanz zu anderen Menschen habe ich eigentlich nicht viel Kritik wahrgenommen. Das Negative an der Pandemie ist, dass ich die Menschen nicht sehen kann, aber das Positive ist, dass ich die Menschen nicht sehen kann. Ich finde es auch fast lächerlich zu behaupten, dass es uns irgendwie an Glaubwürdigkeit mangelt, weil wir unseren Weg gegangen sind, um ein neue Fans zu erreichen. Das ist nichts Neues, nur die Art und Weise, wie es passiert, hat sich verändert. Die Arctic Monkeys sind ein gutes Beispiel: Die haben über MySpace unzählige neue Fans gefunden. Dabei hatten sie nicht mal einen eigenen Account, sondern nur Fans, die sie bei ihren Auftritten gefilmt haben und die Videos auf MySpace veröffentlich haben. Ehe man sich versah, waren unzählige Videos der Arctic Monkeys, aus dem Nichts, online.

„Das Negative an der Pandemie ist, dass ich die Menschen nicht sehen kann, aber das Positive ist, dass ich die Menschen nicht sehen kann.“

Meint ihr in Zukunft wird es für junge Bands eine untergeordnetere Rolle spielen, in Großstädte wie London zu ziehen, um erfolgreich zu werden?

Das ist eine schwierige Frage. Wir haben eine Menge durch diese harte Arbeit, sich mühsam eine Hörerschaft aufzubauen, gelernt und wir mussten definitiv aus unserer Heimatstadt rauskommen! Für uns als Band ist es uns sehr wichtig in einem kreativen Umfeld zu sein. Ich glaube nicht, dass man an einen Ort wie London ziehen muss, um sich ein Publikum aufzubauen. Überhaupt nicht, es spielt keine Rolle, wo man ist! Man kann mittlerweile überall auf der Welt eine Fangemeinde aufbauen, mit Fans in Kontakt treten und neue Leute finden, die deine Musik wirklich lieben, solange man eine gute Internetverbindung hat. Das ist gut so! Aber ich denke auch, dass es für eine Band wichtig ist, nicht immer in ihrer Komfortzone zu sein. Daraus können sehr wichtige Impulse für die eigene Kunst entstehen! Aber das ist eine sehr individuelle Frage, ich bin wirklich unentschlossen.

In Zeiten von Corona, Brexit und Klimawandel, welche gesellschaftspolitischen Themen bewegen euch am meisten und welchen Einfluss nimmt das auf euer Songwriting?

Identität war während der Zeit der Quarantäne eine große Sache für mich. Diese Zeit für mich allein zu haben hat mir die Augen geöffnet und ich glaube, ich verstehe mich tausendmal besser als je zuvor. Natürlich beschäftigen uns auch Dinge wie Brexit oder der Klimawandel sehr stark, es gehen so massive Dinge auf der ganzen Welt vor sich. Aber ich bin in dieser Zeit extrem selbstreflektiert geworden. Auch Videos auf TikTok zu drehen hat mir geholfen, mehr über mich selbst zu lernen. Ich hatte das Fach „Medien“ in der Schule und habe immer Videos selbst bearbeitet und geschnitten. Als ich noch recht jung war, habe ich auch Theater gespielt. Durch TikTok habe ich mittlerweile einen neuen Blick darauf erhalten und für mich scheint es so, als könnte ich all meine Fähigkeiten nun gleichzeitig nutzen.

Ich habe auch vor nicht allzu langer Zeit begonnen, einen Song zu schreiben, der einige Elemente dieser anderen Themen zum Ausdruck bringt. Daraus wurde dann schließlich doch wieder etwas über mein Leben (lacht). Lange Zeit habe ich nie über mich selbst geschrieben, sondern viel beobachtet. Es ging immer nur darum, ein bisschen von der Welt zu nehmen und es in ein Lied zu packen. Ich habe aber mittlerweile realisiert, dass ein kleiner Teil der Charaktere und Situationen in den Texten, auch mich selbst abbilden.

Unsere Single „The Angler“ ist zum Beispiel wie ein Mashup aller verschiedenen Menschen, die ich gekannt oder kennen gelernt habe. Einige Freunde, sogar ein kleiner Teil von mir selbst ist da drin. Arroganz der Jugend, das beflügelnde Gefühl bei Auftritten. Ich versuche immer noch Geschichten zu erzählen, die die Leute ganz einfach selbst verstehen können, ohne dass es einen Kontext gibt. Und auch bei unserer neuen Single „Stardog“ gibt es diese autobiographischen Referenzen. Als Teenager saß ich oft auf dem Rücksitz von Autos einiger Dealer, die genauso alt waren wie ich. Sehr junge Typen, die einfach dachten, nur weil sie etwas Gras verkaufen, sein sie ein großer Hecht. Das ist mir in meinem Leben schon so oft begegnet, dass ich es einfach thematisieren musste.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft?

Ich freue mich wirklich darauf wieder live spielen zu können! Endlich wieder richtige Auftritte haben zu können, das wird bestimmt super! Natürlich hoffe ich, dass dieser Zeitpunkt eher früher als später sein wird. Zudem hoffe ich, dass wir unser Wachstum auf den Social Media Plattformen weiter ankurbeln können, denn es war in letzter Zeit unglaublich. Ich bin so dankbar für all diese unfassbaren Dinge, die uns gerade jetzt passieren. Diese guten Zeiten können gerne weitergehen!

Für The Rills hat die einstige Krise eine 180 Grad Wendung hingelegt. Eine schöne Geschichte, die dazu aufruft, das Beste aus der Situation zu machen und kreativ zu werden. Vielleicht sogar in Zukunft sogar auf TikTok.

Wie eine ihrer Isolation Sessions aussah, könnt ihr hier sehen: