Die besten Songs des Monats – #März

Mit einem Zug aus der rosa Watte eines 19-jährigen Indiekids und der dunklen Depression nimmermüder Post-Punk Heldinnen fahren unsere Songs des Monats in eure Gehörgänge und verkünden: Es werden wieder Verhandlungen um den guten Geschmack aufgenommen!

Courtney Barnett – Need A Little Time

Durch Raum und Zeit schwebt Courtney Barnett in der zweiten Veröffentlichung zum im Mai erscheinenden Album Tell Me How You Really Feel. Wer der Aufforderung des Titels nachkommen will, hat auf der Homepage Barnetts 250 Zeichen Platz den eigenen Gemütszustand zu erläutern. „Need A Little Time“ ist ausgeglichener als das bereits erschienene „Nameless, Faceless“, was der lyrischen Qualität der Australierin keinen Abbruch tut. Nachdenklicher und zurückgezogener präsentiert sie sich, fast wortkarg fallen die einzelnen Strophen im Vergleich mit den manchmal dahergeplappert erscheinenden Sentenzen des Vorgängeralbums Sometimes I Sit and Think, and Sometimes I Just Sit aus, ohne dabei vom empathischen Erzählstil abzukommen. Courtney Barnett versteht sich mit den Depressiven, den Tagträumerinnen, sich selbst aber anscheinend mitunter so gar nicht.

Boy Pablo – Losing You

Die erste Single der IndiePop Gruppe aus Norwegen um Pablo Muñoz „Everytime“ hat mittlerweile auf Youtube fast sechseinhalb Millionen Klicks, warum also nicht einen Song machen, der den weichen Gitarren und dem lockeren Rhythmus der Hitsingle folgt? „Losing You“ hat einen einfachen Refrain, der im Sommer auch auf Festivals außerhalb von Skandinavien bei angeschickerten Besucher*innen zum Gruppentanz im Freundeskreis führen kann und wirkt durch die Low-Fi Ästhetik der Produktion wie ein wirklich cooler Soundtrack eines Coming-of-Age Films, den man auch mit Mitte 20 noch ungeniert genießt. Muñoz Lyrics erzählen von ängstlicher Nervosität vor der bevorstehenden Trennung und dem Unvermögen sich in solcherlei Situationen unmissverständlich und endgültig auszudrücken. Aussehen tut’s, wie 19jährige momentan eben so aussehen, wenn ein wenig Geld da ist und klingen tut’s so langsam ganz schön originell.

XXXTENTACION – SAD!

Jahseh Dwayne Onfroy ist 19, Rapper aus Florida und derzeit unter anderem wegen schwerer Körperverletzung einer Schwangeren und Freiheitsentzug angeklagt. Sein im März erschienenes Album ? belegt derzeit den ersten Rang der Bilboard Charts in den Vereinigten Staaten. Onfroy erzählt von geplanten Suizidversuchen und präsentiert sich manisch depressiv, am Rande des Wahnsinns stehend. Der Hype um seine Person besteht nicht nur Jugendlichen, die sich den mehrfachen Anschuldigungen wegen brutaler häuslicher Gewalt scheinbar widersetzen können und sich mit den Beschreibungen schwerwiegender mentaler Probleme identifizieren, sondern auch aus der Unterstützung durch Rapgrößen wie Kendrick Lamar, Drake, Danny Brown und A$AP Rocky. Nachdem die Anklägerin im Dezember letzten Jahres darum gebeten hatte, sämtliche Anschuldigungen fallen zu lassen, ruht der Prozess im Moment. Die Staatsanwaltschaft will dennoch Anklage erheben, hatte die Anklägerin im Dezember doch noch unter Eid erklärt, man habe ihr aus dem Umfeld Onfroys Geld geboten, sollte sie sich zurückziehen.

Clairo – Flaming Hot Cheetos

Eine Drum-Line, ein Effekt auf einem Klavier Dreiklang, mehr braucht es instrumentell nicht für Clairos erstes offizielles Musikvideo. Ein pastellfarbenes Retro Drive-In, ein Ensemble aus tanzenden Cheetos ergänzen die vor sich hin sinnierende Stimme Claire Cotrills. Was eine clever inszenierte Marketing Kampagne für fettige Snacks sein könnte, ist wohl eher der nächste Schritt vom Youtube Star aus dem eigenen Schlafzimmer zum Presse- und Fanliebling. Nach „Pretty Girl“ spielt Clairo weiterhin mit minimalistischen Songgerüsten, (jetzt erweiterter) DIY Ästhetik und dieser so eingängigen Stilrichtung namens Bedroom Pop. Für Fans der ersten Stunde stellt „Flaming Hot Cheetos“ natürlich schon den Schritt zum Sell-Out dar, hat die Künstlerin doch ihr Zimmer verlassen und passt sich durch die Zusammenarbeit mit Regisseur Matt Dillon allem anderen an, was eben nicht bei Cotrill auf dem Schreibtisch entsteht. Geht’s bei euch eigentlich noch?

https://youtu.be/byGeEw9tRh8

Jimothy Lacoste – Subway System

Nachdem der fam klar gemacht wird, dass man jetzt bitte mal mit dem endlosen Geschniefe und Geschmeisse aufzuhören hat und sich in Trenchcoat und Lederhandschuhen, im money dance selbst erklärt wird, für wen tagtäglich bei Waitrose eingekauft wird und was überhaupt oberste Priorität ist, erklärt Londons softester Sonnenbrillenenthusiast Jimothy Lacoste die Tube von Brixton bis Tottenham. Rhythmisch wird hier so smooth von den Schweinepreisen der hauptstädtischen Underground erzählt, dass es diesen Monat nichts gibt, was nach dem ersten Mal hören so leicht ins Ohr geht. Versucht mal so entspannt zur Stoßzeit in die Picadilly zu kommen mates. Eher zu empfehlen wäre da ein Blick auf die Moves des Londoners. Die reichen nämlich von Morden bis Cockfosters.

https://youtu.be/MFoJ7eiHYd0

Preoccupations – Disarray

Düster und verbittert waren die ersten beiden Alben der Preoccupations. Beeindruckend manchmal in ihrer chaotischen Energie, mit der die pessimistischen Dystopien des Sängers Matt Flegel durch den Post-Punk der Band vermischt wurden. Flegel beschreibt das dritte Studioalbum New Material nun als „ode [to] depression and self-sabotage, and looking inward at yourself with extreme hatred“, was klingt, als würde thematisch weiter im Sumpf der eigenen Verwirrung gewühlt werden, mehr anklagend gegen sich selbst als auf Befreiung durch Benennung aus. Und wenn in „Disarray“ davon gesungen wird, dass alles Erzählte immer gelogen gewesen sei und Flegel im Video sprichwörtlich der Kopf zu platzen scheint, sind die Riffs doch hoffnungsvoller, ein Hauch von Shoegaze weht melancholisch durch die zuletzt erschienene zweite Single-Auskopplung. Die Band präsentiert sich zugänglicher, vielleicht ja dann auch live, wenn im Sommer in Berlin und Hamburg gespielt wird.

Soccer Mommy – Cool

Zu Beginn des Monats erschienen, ist Clean eines der besten Alben des Monats. Sophie Allison präsentiert mit ihren empathisch und vorsichtig erzählten Geschichten ein vielschichtes Singer-Songwriter Debüt, das sich nicht durch inhaltlose Melancholie aufhält, sondern gerade durch seine Ernsthaftigkeit überzeugt. „Cool“, das im Video in sympathisch selbstgemachter 90er Optik verpackt wurde, ist vielleicht nicht einmal Allisons bester Song, dafür hält Clean zuviel kleine Überraschungen bereit und dennoch sind die bissigen Lyrics und die hin und wieder nach dreckigem Garagerock klingenden Gitarren originell und spaßig. Wer mehr über das Debüt der in der Schweiz aufgewachsenen Künstlerin, die Pitchfork schon mehr oder weniger charmant als coole Variante der frühen Tayler Swift bezeichnet, erfahren möchte, hier entlang.

A Perfect Circle – Disillusioned

Orchestraler Rock, der auf Grund seiner Dramatik in Konzerthallen funktionieren könnte, aber durch die düstere Atmosphäre Abstand vom plumpen Grölen nach dem vierten acht Euro Bier im Stadion hält. Was sich anhört, als wäre Violence von den Editors doch in die richtige Richtung gegangen, bezieht sich aber auf die neue Single des Manyard James Keenan Projekts A Perfect Circle. Keenan, der vor allem als Sänger der Metal/ Artrock Band Tool bekannt ist, bedient auch mit A Perfect Circle eigentlich eher Geschmäcker der härtereren Gangart. Auf „Disillusioned“, der zweiten Veröffentlichung zum am 20. April erscheinenden Album Eat The Elephant, das damit das erste Release der Band seit vierzehn Jahren darstellt, schöpft Keenan die ganze Reichweite seiner Stimme atmosphärisch beeindruckend aus.

Lebanon Hanover – Alien

Die Trübsal von Goth an der sauberen Straßenecke zur Kurpfälzischen Apotheke, die Schwere des Post-Punk zwischen den Selfie-Sticks Heidelberger Touristen und Dark-Wave unter Orangenbäumen. Larissa Iceglass und William Maybelline alias Lebanon Hanover fühlen sich so gänzlich fehl am Platz, sei es in den verregnet grauen Straßen der Stadt in der Kurpfalz oder im Urlaubsziel der kleinstädtischen Bewohnerinnen letzerer, unter mediterranem Sonnenschein. Entfremdet von den Mitmenschen, isoliert und sich selbst überlassen, von Ian Curtis über Robert Smith bis Bauhaus fühlt das Duo den Idolen hinterher. Wo die Melancholie schier überschwappt und die dreckige Farbe des Neckar zum Stilmittel wird, klingen Lebanon Hanover glücklicherweise nicht mehr nach einer Reminiszenz an ihren Dark-Wave Hit „Gallowdance“ und wer weiß, vielleicht erscheint seit drei Jahren ja mal wieder ein wenig mehr als ein vereinzelter Song. Verzweifelte Youtube User aus Brasilien, mit denen wir uns natürlich gänzlich identifizieren können, wären sicher mehr als dankbar.

Unknown Mortal Orchestra – Everyone Acts Crazy Nowadays

Mit der Feststellung „Everyone Acts Crazy Nowaydays, but we are taking all kinds of shit“ schließen Unknown Mortal Orchestra die dritte Single zum in einer Woche erscheinenden Album Sex & Food. Was nach Tide Pode Challenge, einem Abend im angesagten Szene Club oder einem Frühstück mit Quinoa-Acai-Goji-Bowl klingt, findet sich im Gemälde des Videos exzessartig dargestellt wieder. Apathische Gesichter, aufgerissene Augen, Mensch und Tier gleichsam festgehalten im Kontrollverlust des Rauschs. Aufgenommen wurde das kommende Album, das bei Jagjaguwar erscheinen wird, unter anderem in Seoul, Hanoi, Auckland, Mexico City und Portland.

 

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