Ilgen-Nurs letztjährige Veröffentlichung „No Emotions“ verband Coming of age Storytelling mit Slacker Attitüde. Zweifelnde Texte über die Wirren der Adoleszenz, DIY Ästhetik und klare Ansagen zur deutschen Popkultur: Gut, dass Ilgen-Nur mit ihrer neuen Single „Matter of Time“ wieder da ist.
Ilgen-Nur Borali beklagt 2017 auf dem Pop-Kultur Berlin Festival die leider immer noch meist geringe Anzahl an weiblichen Acts in den Line-Ups der deutschen Mainstream Festivalszene. Betrachtet man 2018 die bisher zusammengestellten Lineups von Festivals wie dem Hurricane/Southside (65 Acts, davon fünf mit weiblicher Beteiligung) oder dem Rock am Ring (72 Acts, bei sieben steht auch eine Frau auf der Bühne), stellt man fest, dass das von der aus Stuttgart stammenden Indiemusikerin angesprochene Problem auch in diesem Jahr realer denn je ist. Natürlich ist es deswegen von enormer Wichtigkeit, dass sich Künstler*innen wie Ilgen-Nur, Mine oder Sookee öffentlich gegen die strukturelle Ungleichheit, die hinter solchen Zahlen steckt, aussprechen, es wäre allerdings auch hilfreich, einen grundsätzlicheren Ansatz von Solidariät und Awareness über die gesamte Musikszene hinweg erkennen zu können.
Im selben Interview zweifelt Borali ein wenig verlegen daran, ob sie denn jetzt schon Teil der Popkultur wäre, die sie bisher eigentlich eher in betrachtender Haltung wahrgenommen hatte. Allein durch ihr Ansprechen der gerade genannten Probleme und zu gleichen Teilen durch ihre Kunst selbst, müsste man ein ziemliches Brett vor dem Kopf haben, wenn man sich diesem spannenden Teil aktueller popkultureller Entwicklung entziehen wollen würde. An wem ist es überhaupt festzulegen, wer und was denn nun zu diesem undefinierbaren Gebilde namens Pop zu zählen hat? Mit „Matter of Time“, der ersten Single im immer noch jungen Jahr, erweitert Borali ihre lyrische Bandbreite, während ihre Gitarren-Musik dem Indie der Erstlings-EP treu bleibt. Empathisch und emotional gesungen, sagt dir Ilgen-Nur: Durchhalten, irgendwann wird’s besser. Vielleicht sogar ganz bald. Die derzeit in Hamburg lebende Künstlerin ist ab März auf Tour auf Deutschland. Wer sich eine der interessantesten Indie Musikerinnen live auf der Bühne ansehen will, kann dies zum Beispiel am 08.03. in der Halle02 in Heidelberg, am 12.03. im E-Werk in Köln oder am 16.04. in der Berliner Columbiahalle anpeilen. Einfach mal mit jemandem hingehen, dem man frei nach Borali sagen kann: „Even the bags under your eyes are nice“.