Das instinktive politische Handeln – Sunflower Bean im Interview

„Wenn unsere Musik die Leute inspiriert, ist es der absolute Traum“ – Sunflower Bean erzählen uns von ihrem neuen Album und über die politische Message, die eigentlich nie eine werden sollte.

Vor genau einer Woche, trafen wir die US-amerikanische Band Sunflower Bean in Berlin kurz vor ihrer Live-Show im Rosie Berlin. Was sie zur Bedeutung ihres Titels sagen, wie sie sich weiterentwickelt haben und wie ihre Show das Publikum einheizte, lest ihr im folgenden Interview.

Euer Album „Twentytow In Blue“ entstand während einer spannenden Zeit. Wie würdet ihr den Erschaffungsprozess beschreiben?

Julia: Für diese Platte haben wir uns recht viel zurückgezogen. Vor allem von all dem Geschehen in New York City und vom Stadtleben im Allgemeinen.

Oft ist es so, wenn man in einer großen Stadt lebt, ich denke das trifft auch auf Berlin zu, geht es oft um die Frage „Was geht heute Abend?“, „Was ist gerade angesagt?“. Jeder Abend während unserer letzten Tour war im Endeffekt ein Abend in dem wir sozusagen „ausgegangen“ sind. Für unsere Platte ging es uns hauptsächlich darum, zu verstehen wer wir sind und dafür mussten wir uns zwangsläufig auch ein wenig zurückziehen. Wir haben der Presse nichts erzählt und nur wenige Freunde wussten davon.

Jacob: Wir haben quasi das gesamte Jahr 2017 daran gearbeitet. Zu Beginn des Jahres haben wir angefangen die Songs zu schreiben. Komplett zurückgezogen haben wir uns nicht, da wir einen Arbeitsweg nach Long Island in unser Studio hatten, welcher uns gezwungen hat aus dem Haus zu gehen. Aber wir haben diesen kreativen Flow gespürt und es fiel uns sehr leicht uns darauf zu fokussieren und es ins Studio zu bringen und dort dann aufzubauen.

Wir würdet ihr euren musikalischen Wandel im Gegensatz zu der ersten Platte beschreiben?

Nick: Als wir von unserer ersten Tour nach Hause kamen, waren wir anderthalb Jahre unterwegs in denen wir diese Songs gespielt haben und wir spürten diese kontinuierliche Bemühung all das hinter uns zu lassen und was ganz neues zu erschaffen und zu sehen was uns aktuell inspirierte.  Ebenso kam neues Equipment dazu: Ich hatte einen neuen Verstärker und eine neue Gitarre und Julia eine neue Bass-Gitarre. Da wir damals ziemlich schnell angefangen haben miteinander zu spielen begriffen wir, dass es Zeit war neues auszuprobieren und so kam es, dass Julia lernte wie sie ihre Stimme anders einsetzen konnte und ich fing an die Gitarre anders zu halten…

Julia: Und das hat dir zu Beginn auch ziemliche Schmerzen bereitet…

Nick: Ja es hat mich etwas Zeit gekostet. Es war eine körperliche Herausforderung. Auch konzentrierten wir uns auch mehr auf das Songwriting und auf das was wir nun erschaffen können, jetzt da wir begannen immer mehr eine „Band“ zu sein. Somit haben wir versucht die Sachen anzuwenden in denen wir uns über die Zeit weiterentwickelt hatten.

Julia: Wir haben diesen Brooklyn DIY Hintergrund. Da ging es mehr um die Live-Performance als um das mastern der Songs deswegen mussten wir erstmal lernen wer wir als Band waren. Wir hatten mit der zweiten Platte die Gelegenheit wirklich diesen Studio-Prozess zu genießen und ich denke das ist der große Unterschied. In „Human Ceremony“ haben wir diesen Prozess begonnen, welcher definitiv ein lebenslanger Prozess ist. In „Twentytwo In Blue“ sind wir angekommen und hatten die Möglichkeit kreativer zu sein.

Die Single „I Was A Fool“ auf dem Album „Twentytwo Blue“ in unserer Review

Gibt es ein Wortspiel hinter dem Titel „Twentytwo In Blue“?

Julia: Ich denke der Fakt, dass wir wirklich Platten lieben als Konzept hat eine große Rolle gespielt. Wir lieben es, uns eine Platte von Anfang bis zum Ende anzuhören und das ist meiner Meinung nach etwas, was gegen den Trend geht gerade. Aktuell geht es mehr darum wie gut ein Song in eine Art „Streaming Playlist“ passt. Es ist wie es ist und ich denke der Name hört sich wirklich nach einer Platte an oder einer klassischen Sammlung von Songs. Das ist auf jeden Fall etwas, womit wir gerne spielen und ich denke „Twentytwo In Blue“ ist unsere Art es auszudrücken. Hinzu kommt, dass blau eine relativ wichtige Farbe in dieser Platte ist.

Jacob: Die Songs wurden in einer sehr prägnanten Zeit geschrieben und es spiegelt ebenso unser Alter wieder. Die Farbe Blau passte in dem Zusammenhang sehr gut. Wir haben uns jedoch weniger an den klassischen melancholischen oder traurigen Aspekt orientiert sondern mehr an die Farbe Blau als Ausdruck von Stärke. Es ist mehr so als würdest du an einem Strand stehen und auf den Ozean blicken und der blaue Himmel sieht aus als könne er alles bezwingen: die Wellen und den Wind und alles was dir entgegenkommt. Ich glaube Blau ist eine unterschätzte Farbe. Ich glaube es ist viel mehr als nur traurig. Deswegen sind große Sachen auch blau.

Inwieweit geht eure persönliche Entwicklung mit eurer musikalischen Entwicklung einher?

Nick: Ich denke es ist alles ziemlich verknüpft. Wir haben das zu unserem Leben gemacht. Diese Frage wurde uns bereits gestellt und es ist schwierig…Ich weiß es nicht.

Julia: Unsere persönliche Entwicklung IST unsere musikalische Entwicklung.

Nick: Es ist als würde das eine das andere beinhalten sobald wir etwas Neues über uns selbst lernen. Unsere persönlichen Erfahrungen beeinflussen unsere Musik und diese wiederum unsere Persönlichkeit. Als wir die Platte beendeten und wir zurückblickten merkten wir, dass das, das ist was wir jetzt sind.

„Twentytwo In Blue“ wurde stark von der damaligen politischen Situation in den USA beeinflusst, dennoch wollt ihr in erster Linie die Stimme der Jugend in eurem Land sein.

Julia: Es ist schwer zu sagen, was oder wer aktuell die Stimme der Jugend in den USA ist und ich würde sicher nicht uns an dieser Stelle nennen. Gerade aus dem Grund, weil die USA so reich an den verschiedensten Erfahrungen ist. Weitaus mehr Erfahrungen als drei weiße Kids aus New York City jemals verstehen könnten. Wir haben unsere eigene Bandbreite an Erfahrungen die sich mehr darauf beziehen wie es ist ein Jugendlicher in den USA zu sein und der Versuch zu verstehen welche Form von Stärke wir haben. Das sind die Erfahrungen die diese Platte widerspiegelt. So wie Jacob bereits sagte, haben wir nicht von Anfang an verstanden was wir tun, bis es fertig war und es sich richtig angefühlt hat. Es war instinktiv und es war all das, was wir tun wollten. Natürlich waren es auch politische Gedanken und Gefühle und auch Reaktionen zum Leben allgemein. Diese Kraft ist das, was wir versuchen zu vermitteln und wie wir das ganze auch interpretieren. So wie zum Beispiel in „Crisis Fest“ geht es weniger um dieses „Fuck you, Fuck that“ sondern mehr um die Bedeutung dieser Veränderungen und was wir tatsächlich tun können. Was für eine Stärke haben wir? Wie benutzen wir sie? Das Gefühl das wir auch was tun können. Es geht also mehr um das Verständnis der eigenen Stärke, als die Stimme einer Generation zu sein. 

Fühlt ihr eine politische Atmosphäre im US-Publikum?

Julia: Wenn man auf die Gesamtsituation schaut, sucht man nicht explizit nach einer bestimmten Reaktion. Es gibt allerdings diese unterschwelligen Beobachtungen die sehr interessant sind wie zum Beispiel die Tatsache, dass Leute und vor allem junge Leute sich viel bewusster sind und einen größeren Versuch zur Einsicht anstreben. Die Anteilnahme ist recht unterschiedlich vor allem für farbige Menschen oder Kinder von Immigranten. Für die, ist es sehr sehr echt und man versucht es zu verstehen wie es sich anfühlt. Ich würde es nicht eine politische Atmosphäre nennen sondern mehr ein Zusammenhalt da jeder aktuell seinen eigenen Wandel durchlebt. Viele Leute haben ähnliche Hoffnungen und Ängste wie wir und das ist cool da wir das miteinander teilen können. Man muss zusammenhalten.

Wie unterscheidet sich das US-amerikanische Publikum zum europäischen Publikum? Fallen euch Unterschiede auf?

Julia: Es gibt definitiv immer kulturelle Unterschiede, egal wohin wir gehen. Die Unterschiede werden sogar von Staat zu Staat deutlich.

Nick: Es ist weniger in den Shows bemerkbar sondern mehr in den Erfahrungen drumherum.

Jacob: Ich denke, da wir recht schnell in diese Welt eingetaucht sind, mussten wir auch schnell lernen keine Erwartungen zu haben. Es hängt von den einzelnen ab die zu unseren Shows kommen. Zum Beispiel hatten wir gestern eine Show in Kopenhagen mit einem unglaublich enthusiastischen Publikum. Sie warfen die Hände in die Höhe während wir „Crisis Fest“ spielten…wir können nie vorher sagen was bei einer Show passieren wird.

Julia: Zum Beispiel haben wir keinen blassen Schimmer wie der Abend heute wird. Die Menschen reagieren stark auf „Twentytwo In Blue“. Es ist sehr schön anzusehen wie die Reaktionen sind und wie die Leute mitsingen. Das ist das schönste daran, die Songs live zu spielen.

Was ist euer persönlicher Rückzugsort?

Julia: Lange Zeit war es der Sport und es ist es immer noch allerdings nicht so ausgeprägt, da ich versuche meinen Körper nicht zu sehr zu belasten. In letzter Zeit bin ich sehr naturverbunden geworden. Ich komme aus New York City und das touren mit den Jungs oder die Vorstädte waren lange Zeit die einzige „Natur“ die ich zu sehen bekam. Ich fühle mich sehr entspannt und beruhigt wenn ich außerhalb der Großstadt bin, da jeder Abend auf Tour mit Lautstärke und Dunkelheit verbunden ist. Teil zu sein von etwas natürlichem und ruhigem ist sehr regenerierend für mich. Ich bin mir sicher, dass Leute die auf dem Land wohnen, dasselbe über die Stadt sagen und alles seine Vor- und Nachteile hat. 

Nick: Ich wohne noch bei meinen Eltern in Long Island und wenn ich nicht auf Tour bin, bin ich zuhause in meiner Heimatstadt und es ist wirklich sehr schön. Ich genieße es sehr und ich habe einige sehr enge Freunde aus der High School mit denen ich dann jeden Tag abhänge. Ich höre viele Podcasts und spaziere meinen Hund oder male. Es tut sehr gut keinen Druck zu haben. Und wenn ich will, bin ich in 40 Minuten mit dem Auto in der Stadt und habe das Großstadtleben und sehe andere Freunde in der Stadt. Es ist ein ausgewogenes Gleichgewicht beider Welten. 

Jacob: Wenn ich zuhause bin unternehmen meine Freundin und ich sehr lange Spaziergänge in der Stadt. Zum Beispiel von Zuhause, also von Bushwick, zum Central Park.

Julia: Von deiner Wohnung zum Central Park? Das sind etwa 6 Meilen (12km). Ich bin beeindruckt!

Jacob: Ja, in letzter Zeit haben wir es nicht allzu oft geschafft, da es den gesamten Tag in Anspruch nimmt.  

Julia: Dinge die für viele recht langweilig erscheinen, sind sehr spannend für uns geworden. Ich gehe gerne früh ins Bett oder finde es aufregend mir einen Toaster zu kaufen, einfach weil ich die Freiheit habe es zu tun. Auf Tour kann ich mir nicht einfach einen Toaster kaufen. Ich kann nicht wirklich kontrollieren was und wann ich genau esse. Menschen mögen es, sich einen Ort zu suchen und sich ihr kleines Nest zu bauen.

Nick: Ich mag es mir meinen Kaffe auf die Weise zuzubereiten, wie ich ihn gerne trinke. Und dennoch hat die Routine auf Tour auch etwas besonderes. Du hast einen Ort wo du hingehst, den Soundcheck machst und zurück ins Hotel gehst.

Welches Kompliment hat euch bezüglich eurer neuen Platte am meisten berührt?

Jacob: Als wir unsere erste Show dieser Tour in Großbritannien gespielt haben, kam jemand auf mich zu und sagte: „Weißt du, ohne eure Platte wäre ich wahrscheinlich nicht mehr hier. Eure Musik hat mich genau zur richtigen Zeit aufgefangen und ich hatte wirklich das Gefühl es hat mich gerettet.“ Das hat mich sehr berührt. Es gibt für jeden diese Musik die einen immer auffängt und es ist schön zu hören wenn diese Musik deine eigene ist. 

Nick: Meins ist etwas aufgeblasener. Wir waren auf Tour mit einer Band die sich Sleigh Bells nannte und ich trug immer ein Seidenpyjama auf der Bühne. Nach der letzten Show kam eine Frau auf mich zu die sagte: „Ich liebe deine Pyjamas auf der Bühne. Du wirkst so frei.“ Und es war das netteste was jemals jemand zu mir gesagt hat. Ich glaube genau darum ging es bei den Pyjamas – um diese Gleichgültigkeit. Ich werde oft für meine Outfits kritisiert aber in dem Fall war es ein voller Erfolg.

Julia: Die Frage war auf unsere Platte bezogen nicht auf die Komplimente zu deinen Pyjamas. Jungs! (rollt mit den Augen und lacht) Was ich beeindruckend finde ist zum Beispiel, dass bei Social Media die Grenze zwischen den Fans und uns quasi nicht existent ist. Wenn jemand eine Frage oder ein Kommentar hat kann er es mir direkt zuschicken und ich lese alles davon. Ich erhielt lauter Nachrichten über die Platte im Allgemeinen. Leute teilten mir mit, dass es für sie eine große Rolle im Leben spielt weil sie gerade 21 sind und 22 werden oder so. Ich finde es schön wenn wir unsere Gefühle teilen können und wenn ich merke, dass das was wir mit unserer Musik aussagen möchten von den Leuten verstanden wird und geteilt wird. Die Leute wollen ebenfalls darüber nachdenken. Wenn ich also höre, dass die Musik unseren Fans was bedeutet oder es sie beeinflusst oder inspiriert oder es ihnen Nahe geht, ist das der absolute Traum.

Fotos: Hollie Fernando

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