Souly ist einer der wohl spannendsten Newcomer der deutschen Musiklandschaft. Gerade erst hat er sein Debütalbum „Ich wünschte, es würd mich kümmern“ veröffentlicht, das mindestens so viel Seele enthält, wie sein Künstlername verspricht und fast so viel Gleichgültigkeit, wie der Albumtitel vermuten lässt. Es ist das kontrastreiche Debüt eines spannenden Künstlers, der sich uns im Interview öffnet und tiefe Einblicke in das Album und seine Entstehung gewährt.
Es ist ein verregneter Freitagabend, an dem wir Souly treffen. In einer großen Umarmung stellt er sich als Luca vor, mit dabei hat er Manager Piet und Partnerin Annie, die seine PR-Arbeit übernimmt. “Ich hoffe, ihr habt Hunger mitgebracht”, sagt er, als wir aus der Berliner Kälte in türkische Sommerwelten eintauchen. Er hat uns zu Ergüns Fischbude eingeladen, einem Familienbetrieb, der frischen Fisch und türkische Küche anbietet. Begeistert erzählt Souly von seinem Stammrestaurant und der Familie, mit der er mittlerweile sogar über WhatsApp in Kontakt steht: “Es ist einfach wie ein Zuhause. Wenn man etwas zu feiern hat, kommt man hierher. Und da dachten wir, lass doch einfach zusammen feiern und essen“.
Grund zu feiern gibt es gerade genug. Mittlerweile ist Soulys Debütalbum veröffentlicht. Am Abend vor dem Interview hat er es gerade erstmalig einer größeren Gruppe vorgestellt, danach erreichte ihn der letzte noch fehlende Featurepart für das Album. “Nach diesem Event sind wir erstmal schön zu Macces gefahren mit sechs Leuten. Wir haben im Auto gegessen und in dem Moment hat dann auch (OG) Keemo die Spuren geschickt. Stoopid Lou, einer der Produzenten, hat dann direkt Laptop rausgeholt und die Main Vocal Spur auf den Beat gelegt. Dann saßen wir alle im Auto mit BigMac in der Hand und haben den Part gefühlt”, erzählt er. Es ist eine von vielen Geschichten der Albumentstehung, die er bei Garnelenpfanne und Kerzenlicht mit uns teilt. Sie alle zeigen, wie viel Liebe, Leidenschaft und Hustle in “Ich wünschte, es würd mich kümmern” stecken.
„Ich habe nicht mal an eine Szene gedacht. Ich war voll in meinem eigenen Film.“
Von diesem Album hätte der kleine Luca im Münsterland vermutlich nicht einmal zu träumen gewagt. Seine frühen musikalischen Einflüsse sind genauso wild wie die erste Auslebung seiner Musikalität. Mit seinem Vater hört er viel italienische Musik, sein erstes Konzert ist ACDC. Er lernt Akkordeon, singt in einem Gospelchor und spielt mit seinen zwei besten Freunden Coversongs auf Hochzeiten, am liebsten “Black Chandelier” von Biffy Clyro. Erst als er für sein Psychologiestudium nach Osnabrück zieht, findet er zum Rap. Eigentlich aus Faulheit, gibt er zu: “Bei HipHop konntest du einfach gut Beats runterladen von YouTube, dir ein Mikrofon hinstellen. Ging halt voll einfach, deswegen habe ich das gemacht”. So nimmt Souly seinen Anfang, fernab einer Szene, ohne Ziel, ohne Grenzen. “Ich habe nicht mal an eine Szene gedacht. Ich war voll in meinem eigenen Film”, erinnert er sich.
Später lernt Souly Aubster kennen, der sein Manager wird und ihn zu sich in die Hauptstadt holt. “Ich hab richtig Schwein gehabt in Berlin. Seine ganze Freundesgruppe ist innerhalb von Wochen meine Freundesgruppe geworden”. Auch Annie und Piet, vier Jahre später Partnerin und Manager, lernte er über Aubster kennen. Eine Zeit lang besteht Soulys Leben aus Studium, Musik und Brotjob. Wenig Schlaf, viel Hustle, ständig unterwegs zwischen Büro, Bib, Studio und Szeneevents. “Meine Family war die typische SPD-Familie, immer am ackern und Kleinstbeträge sparen. Ich dachte, wenn du Spaß haben willst, dann acker halt”, erklärt er. Spaß, das war Rap für Souly und Aubster vor allem. “Wir haben halt in den Tag hineingelebt und das war auch original mein Vibe. Ich hätte niemals gedacht, dass das was wird. Ich war einfach happy, dass ein Typ dabei war, der genauso tagträumerisch unterwegs war und da mitzieht”.
„Das will ich, seit ich klein bin und dann will ich jeden Tag alles dafür tun, dass es hinhaut“
Aber mit der Musik und ihrer Resonanz wächst auch Soulys Ambition. Seine Arbeitsmoral verändert sich. “Ich habe gezeigt bekommen, was möglich ist. Das will ich, seit ich klein bin und dann will ich jeden Tag alles dafür tun, dass es hinhaut”, so erklärt er die berufliche Trennung von seinem ehemaligen Manager und heute immer noch Freund. Mit neuem Management im Rücken findet er Verlag und Booking und unterschreibt schließlich einen Deal beim unabhängigen Vertrieb Groove Attack. “Und jetzt sind Leute dabei, die sich Gedanken machen, anstatt die ganze Zeit irgendwas im Internet hochzuladen”.
Dass es in der vollgepackten Diskografie von Souly bisher an Alben fehlte, lag auch an den fehlenden Strukturen. Hier ein Tape hochladen, da eine Single, das war lange die Herangehensweise. Viel Gefühl, wenig System. “Ich hatte immer das Gefühl, dass das, was ich mache, gut ist und einfach gehört werden muss. Aber ich musste erst verstehen, dass man das den Leuten auch zeigen muss. Und das schaffe ich alleine nicht”. Weil ein Album für ihn eine zu große Sache war, wartete er damit auf die nötigen Strukturen, die spätestens mit dem Vertriebsdeal besiegelt wurden. An Unabhängigkeit musste er dabei nicht einbüßen. Luca erinnert sich an den Moment, als die ersten Änderungsvorschläge des Vertriebs kamen: “Ich hab ihm dann gesagt, ‚also eigentlich… das ist jetzt so, alles. Ich kann davon nicht mehr abweichen, geistig'“. Man habe dann einen Wein aufgemacht und darauf angestoßen. Denn wer mit Souly arbeitet, vertraut ihm. Seine Wegbegleiter waren entweder schon immer Freunde oder wurden es durch die Zusammenarbeit. In seinem Herzen haben sie alle Platz, so viel wird klar.
„Dann dachte ich, eigentlich ist alles außer LSD-Rock richtig scheiße und nur das ist cool.“
Auch seine Musik scheint ganz Lucas Herzen zu entspringen, an Gefühl und Leidenschaft haben die industriellen Strukturen nichts geändert. Das Album orientiert sich mehr an Stimmung und Atmosphäre als an einem inhaltlichen roten Faden. Die Songs entstehen aus dem Moment, anders geht es nicht. So findet sich zwischen Trap und R&B auch die rockige Emo-Hymne “Bloody Rain”. “Davor habe ich drei, vier Tage mit Loco Candy abgehangen. Die laufen dort die ganze Zeit in Schlaghosen rum, rauchen zwei Schachteln am Tag und machen LSD Rock. Und dann dachte ich, eigentlich ist alles außer LSD-Rock richtig scheiße und nur das ist cool”. Ähnlich impulsiv entstand aus einem MPU-bedingten Drogenentzug ein (in diesem Zusammenhang vollkommen überzogener) Song wie “Wie fühlt sich sterben an”. “Wir waren in einer Session und die zwei Produzenten haben halt gekifft wie sau. Ich lag dann in diesem Raum und hab erst Instagram, dann TikTok durchgeguckt und ich war nur so, ‚Dicker hör auf, was bist du für ein Opfer gerade?‘ Dann hab ich halt den Song geschrieben. Obviously voll übertrieben, aber in dem Moment habe ich es des Grauens gefühlt”.
Die verschiedenen Stimmungen der Songs greifen auch die Features perfekt auf. Für Souly eine der größten Veränderungen im Vergleich zu früheren Projekten. “Ich hatte vorher auch Features hier und da, aber das war eher Abhängen und dann einen Song aufnehmen, der eventuell gut genug zum Hochladen ist”. Für das Album habe man sich Gedanken darüber gemacht, mit wem man sich repräsentieren wolle und wessen Präsenz auf dem Album stolz machen würde. Einen nicht ganz unwichtigen Part hatte dabei Rap-Kollege Gianni Suave, der nach “Taylor Swift Freestyle” (2022) auf “Ok Ok” zum zweiten Mal mit Souly zusammenarbeitet. Grinsend gibt er zu: “Also vom Ding her hat Gianni sich eigentlich um die Features gekümmert, kann man so sagen”.
„Also vom Ding her hat Gianni sich eigentlich um die Features gekümmert, kann man so sagen.“
Für den hochromantischen R&B-Song “Chrysanthemen” lag Layla als die perfekte Ergänzung auf der Hand, die Anfrage über den Verlag blieb aber erfolglos. “Dann war ich in Frankfurt letzten Sommer und hab Gianni ein paar Songs vorgespielt, unter anderem Chrysanthemen. Und Gianni meinte: ‚Dicker, ich muss Layla fragen, ob die drauf kommt‘. Und ich war so: ‚Hä, kennst du die? Und er so: Willst du mich verarschen? Das ist meine beste Freundin!‘”. Am nächsten Tag sei Laylas Part fertig gewesen. Auch der Kontakt zu OG Keemo entstand über Gianni Suave, kurz nach dem Release seines Instant-Classic “Mann beisst Hund”. “Ich habe das Album so gefühlt und dann einen Monat später hat Gianni ihn mit ins Studio gebracht”, erinnert Souly sich. Etwa ein Jahr später sorgt Keemo mit seinem Part auf dem düsteren „Bunte Bündel“ für Gänsehaut.
Mit seinem Produzenten-Team aus den Waterboutus-Zwillingen, Matt Mendo, Stoopid Lou und Never Old Ben hat Souly über Jahre an den verschiedenen Sounds von “Ich wünschte, es würd mich kümmern” gefeilt. Sie alle haben maßgeblich zu dem vielseitigen, und doch stimmigen Soundbild beigetragen. Den Unterschied zu früheren Tapes wie “Teufel fallen” oder “Engel fliegen” habe hier vor allem die Professionalität, der Anspruch und die Möglichkeiten gemacht, so Souly.
Für das Album wollte man sich die Zeit nehmen, die es brauchte, um das beste Ergebnis zu erzielen. “Bei “Teufel fallen” war es so, wenn der Song nicht nach vier Stunden fertig war, war er Trash. Und hier war es so, ‚okay das ist so geil, komm, lass uns zusammenreißen, lass das richtig machen‘”. Aus dieser Motivation entstand auch Soulys zweigeteilter Lieblingssong “Nebel/ Diamantstein”. Der Übergang von 3/4 Takt und 92 BPM zu 4/4 Takt und 138 BPM habe sie fast in die Verzweiflung getrieben. Aber nach drei verworfenen Beats und umgeschriebenen Parts ist das Ergebnis genau das, was sein Titel verspricht – ein Diamant. Das Album ist das Resultat dieses neuen Strebens nach Perfektion. “Ich hätte es bestimmt auch letzten Sommer schon hochladen können, dann wäre es nur nicht so geil geworden, wie jetzt. Jetzt sind nur Songs drauf, wo ich sagen würde, von Herzen kann ich die nicht vom Album nehmen”.
„Jetzt sind nur Songs drauf, wo ich sagen würde, von Herzen kann ich die nicht vom Album nehmen“
Auch inhaltlich entwickelt Souly sich mit seinem Debütalbum weiter. Früher dominiert von Flex und Heartbreaks lässt er auf “Ich wünschte, es würd mich kümmern” tiefer blicken. Die großen Themen bleiben Geld und Liebe, doch werden sie facettenreicher aufgegriffen. Finanzieller Wohlstand und Erfolg ist offensichtlich etwas, was Souly anstrebt. Dabei schwingt aber immer auch eine gewisse Ehrfurcht vor der Macht des Geldes mit. “Ich finde es einfach gegensätzlich, wie viel Bock Geld machen kann, weil es einfach geil ist, wenn man gut essen gehen oder sich Grillz machen kann. Aber gleichzeitig ist es auch für so viel Scheiße verantwortlich. Das kann eine Dynamik maßgeblich in eine andere Richtung lenken”. Er spricht hier aus der Erfahrung seines Management-Wechsels, die auch seine Freundschaft gefährdete. Souly weiß um die Anziehung, die Geld auf ihn ausübt und um die Macht, die es damit auch hat.
Für Reflexionen dieser Art war in Lucas Leben nicht immer Platz. Erst durch seine Freundin Annie habe er gelernt, sich bewusst Zeit für sich zu nehmen. “Ich war ein Mensch, der dachte, passt doch alles, mir geht’s doch super. Und dann habe ich gelernt, dass Situationen auch verändert werden können, wenn sie an sich okay sind, aber nicht Bombe. Und einfach das bewusste Alleinsein ist ein Ding für mich geworden, was es vorher nie war”. So finden auf “Ich wünschte, es würd mich kümmern” auch dunklere Erkenntnisse Einzug. Denn die Erfüllung seiner Träume hatte auch eine Verschiebung alter Probleme zu ganz neuen zur Folge. “Was mir dadurch klar wurde, ist, dass die Scheiße kein Ende hat. Es bringt nichts, es kann nie nichts scheiße sein. Und die Flucht davor ist einfach nicht möglich”. Die Musik helfe ihm dabei, über den Dingen zu stehen. Nicht nur im Albumtitel, in vielen seiner Texte schwingt eine beispiellose Gleichgültigkeit mit. “Die Welt ist halt am Arsch. Aber irgendwie auch nicht. Man kann es auch einfach genießen, weißt du, wie ich meine? Es ist alles immer schlecht und gut zugleich”.
Nicht nur die Musik gibt Souly dabei den nötigen Halt. Egal, wie sehr er in seinen Songs abhebt, auf jeden Flex folgt ein Reality Check. Immer wieder hält er sich seine Prioritäten vor Augen. Die Gegenwart nutzen, das Jetzt nicht verpassen, darum geht es ihm vor allem. Die größte aller Prioritäten: Die Liebe. Klar. Sie ist neben dem Geld das große Leitthema seines Debütalbums und mit Blick auf seine Diskographie ein offensichtliches Lieblingsthema. “Ja, manche sagen mir das nach”, gibt er grinsend zu. Das Leute ihn aber auf die Rolle des hoffnungslosen Romantikers beschränken, könne er nicht nachvollziehen. Deshalb habe er auf dem Album darauf geachtet, nicht nur die romantische Liebe aufzugreifen. “Ich habe sehr viel Liebe für die Leute, mit denen ich bin. Wenn ich zurückdenke, wäre vieles nicht so, wie es jetzt ist, wenn nicht Leute da gewesen wären und mir von Herzen so geholfen hätten, wie sie mir geholfen haben”. Und trotzdem: Die romantische Liebe ist ein großer Teil von Souly und kann kein weniger großer Teil seines Debütalbums sein. “Am Ende des Tages bin ich einfach ein Romantiker. Das füllt ja auch ein Leben, Liebe. Ist doch Bombe. Viel mehr braucht man doch nicht”.
„Am Ende des Tages bin ich einfach ein Romantiker“
Besonders schön zu beobachten: Die Heartbreak-Songs, die sich durch Soulys bisherige Projekte ziehen, sucht man auf diesem (fast) vergebens. “Ja, das ist einfach passiert, um ehrlich zu sein. Ich wollte das nie”, kommentiert er lachend. Es wurde Zeit, sich vom Image des Herzensbrechers mit gebrochenem Herzen zu verabschieden. “Ehrlich gesagt stört es mich einfach, wenn Leute das so wahrnehmen von mir. Ich meine, ich verstehe ja auch, warum, ne? Ich hör’s ja selber. Aber das ist einfach etwas, woraus ich mich weiterentwickelt habe”. Das Album solle der neue Grundstein sein, auf den alles aufbaut. Alles andere sei nur Training gewesen.
In logischer Konsequenz endet “Ich wünschte, es würd mich kümmern” in einer großen Liebeserklärung, die die Liebe in weit mehr als einer Facette widerspiegelt. Es wirkt, als sei es hier Luca, der Souly dringend noch etwas hinzuzufügen hat. “Für Immer” ist der emotionale Höhepunkt des Albums, auf dem er sich so persönlich zeigt wie noch nie. (An dieser Stelle sei gesagt, dass die Deluxeversion des Albums ein zweites Outro bereithalten wird, dass dieses hier noch in den Schatten stellt) Dass Souly es zum Ende noch wagt, sich so verletzlich zu machen, ist auch seinen Produzenten zu verdanken. “Bevor wir Musik machen, sind wir im Studio und reden darüber, wie es uns geht. Und ob das jetzt eine Stunde oder drei dauert, dann dauert halt die Session eine Stunde oder drei länger”, erklärt Souly. Stoopid Lou vertreibe vor jeder Session mit Palo Santo die schlechten Vibes aus dem Studio, Matt Mendo sei noch sensibler als er selbst. “Und ich bin schon ein sehr, sehr sensibler Mann”. Für ihn sei das eine Wohlfühlrunde. Ein sicherer Ort zum Loslassen und Erzählen.
Das ist gut so, denn verlassen wurde das Studio nur selten in den Monaten der Albumentstehung. Und jetzt ist es da, Soulys “Baby”. Ein Produkt voller Liebe, Seele und Leidenschaft. Ein Herzensprojekt im wahrsten Sinne des Wortes, das den Grundstein eines vielversprechenden Weges legt. Im April wird Souly es auf seiner ersten eigenen Tour auf die Bühne bringen, bis Ende Mai folgen noch drei Songs, die nachträglich in das Projekt eingearbeitet werden. „Ich wünschte, es würd mich kümmern“ solle atmen können, langlebig sein. Und danach? „Am Ende kommt, wie kommt. Das hat bisher auch immer gut geklappt“.
Seht hier das Video zu „Für Immer“ von Souly:
Text und Interview von: Paula Bormann
Fotos: Pauline Pyras