Fenne Lily aus Bristol meldet sich nach zweijähriger Pause mit ihrem zweiten Album „Breach“ (VÖ: 18.09. via Dead Oceans) zurück. Darauf findet sie Frieden im Alleinsein und wagt einen Schritt heraus aus dem einfach gestrickten Singer-Songwriter-Universum hinein in komplexere Soundwelten. Wir haben mit Fenne Lily über ihre neue Platte und die Abschottung von der Außenwelt gesprochen.
Im Jahr 2018 schoss sich die Britin Fenne Lily mit ihrem wunderschönen Debüt „On Hold“ in die Herzen von Liebhabern des wohligen Singer-Songwriter-Sounds. Ihr Erstwerk ist bestückt mit Songs, die quasi als spät-jugendliches und höchst melancholisches Audio-Tagebuch wahrgenommen werden können. Es geht um die Liebe und erste Beziehungen. Na klar, schließlich ist sie beim Release gerade mal 20 Jahre alt. Einige der Stücke gehen sogar viel weiter zurück – in eine Zeit, in der man bei ihr wohl gerade erst vom Erwachsensein sprechen konnte. Auf „Breach“ blickt Fenne Lily nicht nur (stets nachvollziehbar) auf sich selbst, sondern entwickelt sich auch weiter. Insbesondere musikalisch.
Das wird schon bei den ersten Singles deutlich. So kommt „Solipsism“ mit überraschendem Lo-Fi-Geschrammel daher. Sie schrieb den Song, nachdem sie eine Dokumentation über The Stone Roses sah. „Alapathy“ peitscht ebenso nach vorne. Verzerrte Gitarren und ein generell flotter Rhythmus in The War On Drugs-Manier weisen den Weg für ihre zarte Stimme. „Berlin“ beschreibt das Motto des Albums: „It’s not hard to be alone anymore“. Die Idee des Songs kam ihr, nachdem sie einen Monat alleine in Berlin lebte, erneut Patti Smiths „Just Kids“ las und eine Nacht im Berghain verbrachte. Musikalisch startet der Song in einem gemächlichen Bedroom-Pop-Stil, um sich dann immer weiter aufzubauen und schließlich in diesen neuen, tiefgängigen Songmustern zu verschwimmen.
Selbiges gilt für die fast himmlischen „I, Nietzsche“ oder „Birthday“, die in Keyboardklängen und Streicherarrangements übergehen. „Breach“ ist musikalisch also deutlich verwobener als sein Vorgänger. Und doch kommen auch die ruhigen Momente nicht zu kurz. Das beweist u.a. der Opener „To Be A Woman Pt.1“, der sehr an ihr erstes Album erinnert. Der Song setzte sich kurzfristig gegen „To Be A Woman Pt.2“ durch, den Fenne Lily bereits als Single herausgebracht hatte.
Fenne, im Vorfeld zum Album hast du die Single „To Be A Woman Pt.2“ releast. Auf dem Song geht es teils rau zu, weil er in energischen Gitarrenparts ausbricht. Ein erster Hinweis also, wohin die Reise musikalisch geht. Warum ist es insbesondere der komplexere Sound auf „Breach“, mit dem du dich im Gegensatz zu deinem Erstling „On Hold“ beschäftigt hast?
Seit „On Hold“ habe ich festgestellt, in welchem Maße, neben meiner Stimme, auch Instrumente wichtig sind, um meine Gefühle zu äußern. Ich glaube der Gitarrenpart auf „To Be A Woman Pt.2“ ist der beste, den ich je geschrieben habe. Der Song ist wütend, aber gleichzeitig schön. Ich habe zuletzt viel Cat Power, Adrianne Lenker oder Modest Mouse gehört. Ich liebe diesen Gegensatz zwischen den teils rauen Gitarrenparts und den doch eher sanften Stimmen, da es trotzdem harmoniert. Und genau darauf, ebenso wie auf komplexere Sounds generell, wollte ich mich konzentrieren.
Das klingt so, als seist du noch auf der Suche nach „deinen Sound“. Oder entwickelt er sich eh immer weiter?
Ich glaube, er wird sich immer weiterentwickeln und angelehnt sein an dem, was ich aktuell höre. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, ob ich einen eigenen Stil habe. Wenn ich z.B. die Eltern von Jemandem treffe, die wissen, dass ich Musikerin bin, beantworte ich diese Frage eigentlich immer mit „Sad Rock“. Aber dann denken die Leute, ich klinge wie Coldplay. Ich bin diesbezüglich wohl eh etwas eingeschränkt, weil meine Stimme von Natur aus so sanft ist. Vielleicht werde ich da irgendwann mal aktiv eingreifen. Im Moment singe ich einfach nur so, wie es sich für mich gut anfühlt…und das ist eben eher leise und schüchtern. Das allerdings stimmt nicht unbedingt mit meiner Persönlichkeit überein. Aber wie gesagt: Mein Sound wird auch immer sehr ähnlich zu dem sein, was ich höre. Ich liebe Post-Punk aktuell sehr, vielleicht fange ich also irgendwann auch mal an zu schreien…(lacht).
Du hast bei dem Release von „On Hold“ vor zwei Jahren in ein paar Interviews gesagt, dass du schon genau wüsstest, wie dein kommendes Album klingen wird. Zwei Jahre später: Ist „Breach“ genauso, wie du es dir vorgestellt hast?
Nicht wirklich, ne. Ich hatte während der Tour damals super viel geschrieben, danach dann noch mehr. Und die letzten Songs, die ich schreibe, sind immer die, die am besten ausdrücken, was ich fühle und funktionieren einfach besser in ihrer Erzählweise. Ich wollte in erster Linie, dass die Platte jetzt thematisch stärker und selbstbewusster ist – aber nicht unbedingt musikalisch selbstbewusster klingt. Ich glaube damals hatte ich noch mehr das Bedürfnis lauter zu sein und zu zeigen, dass ich nicht mehr traurig bin. Aber dann habe ich gemerkt, dass Stärke nicht vom laut oder schnell sein kommt. Das Album findet also eine gute Balance irgendwo zwischen laut und leise.
Du sagst, du wolltest thematisch etwas Selbstbewussteres schreiben. Außerdem äußerst du, dass die Platte thematisiert, Frieden im Alleinsein zu finden. Warum ist es wichtig, Zeit für sich zu haben und wieso hat es etwas mit Stärke zu tun, sich genau das einzugestehen?
Für mich ist es wichtig, weil ich mich durch die Meinung zu vieler Menschen von mir selbst entferne. Ich habe erst vor kurzem gemerkt, wie frei und wohl ich mich alleine fühlen kann, ohne dass Tinder-Dates oder bedeutungslose Beziehungen mir das Gefühl geben, gebraucht zu werden. Das klingt jetzt vielleicht hart. Aber in Zeiten von Social Media, Online Dating und Amazon Paketen, die in einem Tag da sind – quasi all diese schnell erreichbaren Dinge – war es für mich wichtig, mich mit meinem eigenen Innenleben auseinander zu setzen. Ich wollte wissen, wie es ist, für einige Zeit wirklich nur meinen eigenen Kopf einzusetzen. Das war die ersten Tage extrem schwer, bis ich festgestellt habe, dass ich ruhiger werde, wenn ich von all dem eine Auszeit nehme. Trotzdem liebe ich es natürlich mit meiner Band unterwegs zu sein, live zu spielen und Leute nach den Shows zu treffen. Aber bei mir hatte es eine Stufe erreicht, in der ich aufgehört habe, meinen eigenen Kopf zu nutzen – also, dass ich quasi Leute von außen brauchte, um mich zu erheitern. Ich habe einfach eine Möglichkeit gesucht, allein mit mir selbst zu sein.
Was hast du dabei herausgefunden? Oder anders gefragt: Gibt es für dich einen Unterschied zwischen „alleine sein“ und sich „alleine fühlen“?
Ich glaube einsam wird man, wenn man sich von sich selbst und nicht von anderen Menschen entfernt. Ich wusste eigentlich schon immer irgendwie, dass es da diesen Unterschied gibt, den du ansprichst, war aber nie länger als ein paar Tage alleine. Deshalb bin ich auch einen Monat alleine nach Berlin gegangen. Ich wollte diesen Unterschied erleben, denke aber auch, dass es ein längerer Prozess ist, das festzustellen. Manchmal fühle ich mich z.B. auch einsam, wenn ich alleine bin. Es ist also nicht so, dass ich nie einsam bin oder nie mit Menschen abhängen will. Es ist irgendwie ein auf und ab.
Insbesondere in der Coronazeit fühlt man sich ja schon häufiger mal alleine. Wie ist es dir bislang so ergangen?
Zuerst war ich richtig sauer, weil ich nicht mit zwei meiner absoluten Lieblingskünstlerinnen, Lucy Dacus und Waxahatchee, auf Tour gehen konnte. Auch das Musik schreiben fiel mir wegen dieser gespenstischen Atmosphäre super schwer. Aber: Ich habe neue Musik, die während Corona veröffentlicht wurde, viel intensiver gehört. Das neue Album von Taylor Swift zum Beispiel mochte ich erst gar nicht. Dann habe ich von Freunden gehört, dass sie es feiern und es nochmal angeschmissen, was ich sonst nie machen würde…und gemerkt, es ist ziemlich brilliant. Es ist glaube ich eine Zeit, in der man intensiver über verschiedene Dinge nachdenken kann. Aber insgesamt hat es mich auch etwas verrückt gemacht. Ich habe zum Beispiel meine Haare in vielen verschiedenen Farben gefärbt. Also, eine wilde Zeit, aber ich glaube, dass ich sie bislang mental ganz gut überstanden habe…(lacht).
Du hast eben Lucy Dacus und Waxahatchee erwähnt. Ich nehme nochmal Phoebe Bridgers hinzu, zu der du auch einen guten Draht hast. Alles Girls, die die Indie-Welt aktuell aufmischen. Sind das Inspirationen für dich?
Auf jeden Fall! Manchmal ist es noch komisch, Phoebe und Lucy als Freundinnen bezeichnen zu können. Das erste Mal habe ich Lucy getroffen, kurz bevor wir zusammen auf Tour gegangen sind. Wir waren beide auf einem Festival und da hatte sie mir geschrieben und gefragt, ob wir abhängen wollen. Ich hatte kurz zuvor MDMA genommen und deshalb super Angst, dass ich nicht ich selbst sein würde und sie versuche zu küssen oder so…aber es lief alles gut. Ich finde es aber generell spannend, sich Inspirationen von Leuten zu holen, die sich selbst noch entwickeln. Für mich sind Phoebes „Stranger In The Alps“ und Lucys „Historian“ so große musikalische Punkte in meinem Leben, für mich persönlich Meisterwerke. Aber ich weiß eben auch, dass die beiden sich als Künstlerinnen noch weiterentwickeln. Ich bewundere sie für ihre Unabhängigkeit und ihre Souveränität in ihren Werken.
Sowohl Lucy, als auch Phoebe, hast du ja auch in deinem Insta-TV Format „The Bathtime Show“ interviewt. Dabei sitzt ihr in der Badewanne. Was für eine ehrliche Art des Interviews. Liebe ich!
Ohja! Es ist wirklich eine coole Art und Weise mit Leuten zu connecten, deren Musik wichtig für mich ist. Ich habe ja auch unter anderem eine Folge mit Christian Lee Hutson gemacht. Sein Album „Beginners“ hat Phoebe produziert und es ist eines meiner Lieblingswerke der letzten Monate, vielleicht sogar des Jahres? Ich muss nur immer aufpassen, dass ich nicht zu sehr mit einer „Ich liebe euch“-Attitüde an die Sache herangehe (lacht). Das Ganze startete erst als ein Witz in Quarantäne und hat sich dann so entwickelt. Bin richtig besessen geworden von dem Interview-Ding. Ich höre auch so viele Podcasts, ich glaube man könnte mit Podhead bezeichnen (lacht). Vielleicht mache ich irgendwann auch mal einen auf Radiomoderator und kündige mich und die Sendung richtig überschwänglich an. Also ja, ich mache einfach so lange weiter, bis die Leute das Interesse verlieren. Seid also gespannt!
Fenne, abschließend noch einmal zurück zu deinem neuen Album „Breach“. Welcher Song davon ist dir am Wichtigsten?
Auf dem Album ist ein Song der heißt „I used to hate my body, but now I just hate you“. Es ist wahrscheinlich das wütendste Stück, das ich bisher gemacht habe. Und das, obwohl es nicht wütend klingt. Ich glaube das fasst mich und das Album ganz gut zusammen. Ich bin nicht passiv aggressiv, aber ich finde es auf jeden Fall schwer, Wut in einer einfühlsamen Weise aufzuarbeiten. Aber genau dieser Song kommt dem recht nahe: Einer Person genauestens zu sagen, was ich von ihr halte. Und dann endet der Song doch mit einer positiven Nachricht. Ein Satz darin lautet: „I still see you as some kind of reassurance, that some day I’ll be understood“. Ich fange also recht wild an und ende mit einer versöhnlichen Art. Und ich glaube, das spiegelt mich aktuell sehr gut wider.