Juli
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Mit Lata Mangeshkar, dem Mount Kimbie Collective und schmalzigem Schlager
Während der letzte Monat unter dem Stichwort Relevanz ablief, darf man im Juli wieder einfachen Spaß haben. Es ist der Festivalmonat, das Semester geht seinem Ende zu und die Urlaubsplanung steht an. Man kann sich in das bunte Schwimmbecken von Earthly stürzen, mit den Maccabees eine Wanderung nach Indielandia unternehmen, zu DJ Rashad und den Chemical Brothers tanzen und am nächsten Morgen mit Four Tet im Bett frühstücken. Sogar Kevin Parker macht einfach das, was ihm gefällt: zähflüssige Meta-Pop-Schlager. Nennt es, wie ihr wollt, Carpe Diem oder #yolo – aber stürzt euch ins Vergnügen!
Tame Impala: Currents
Currents ist kitschig, einsam, viel zu viel und extrem gut. Ähnlich wie Sufjan Stevens‘ The Age of Adz ist das dritte Tame Impala Album eigentlich zu massig, um es in einem Stück zu konsumieren, wie ein Büffet mit Pizza, Fondue und Sahnetorte. Weil man aber nicht an sich halten kann, tut man es doch und liegt danach erschlagen unter dem Tisch. Mit Currents vollzieht Kevin Parker die Wandlung zum Pop-Produzenten, die sich mit „Beverly Laurel“ und „Prototype“ angedeutet hatte. Vom lockeren Psych Rock der ersten beiden Alben ist kaum etwas übrig geblieben; in den Ausnahmefällen („Let It Happen“ und „Disciples“) wird er durch produktionstechnische Tricks wie Glitchen und das Umschalten zum flachen, gefilterten Radiosound entstellt. Stattdessen finden sich auf dem Album schmalzige Meta-Schlager, melancholische Synthpop-Hits und funky R&B.
Soviel Spaß die Songs auch machen, man kriegt den Eindruck, Parker sei der traurigste Mensch auf Erden. Es ist einfach, sich den Schreibprozess vorzustellen: Ein Foto im Booklet zeigt den verschwommenen Hinterkopf des Australiers vor zwei großen Boxen, einem Keyboard und zwei Laptops. Im Hintergrund erstreckt sich ein Strand, aber der scheint für Parker unerreichbar. Currents ist das Album eines einsamen Perfektionisten, bis auf das Mastering ist Parker für alles verantwortlich. Anders als Lonerism, das die Einsamkeit noch zelebrierte, klingt Currents wie ein verletztes Tier, das in seinem Bau Schutz vor der Welt sucht. Ob das unbestimmbare Gefühl der Einsamkeit auf das Ende seiner Beziehung zu Melody Prochet zurückzuführen ist, kann man nur vermuten. Bezeichnend ist aber, dass die wenigen natürlich klingenden Sounds – die Disco-Gitarre auf „The Less I Know the Better“, das Feedback am Anfang von „Past Life“ und die unverzerrte Gitarre auf „New Person, Same Old Mistakes“ – kaum dass man sie wahrnimmt schon wieder von sirupartigen Synths oder Snaps und Claps verscheucht werden. Currents ist vielschichtig und trotz ein, zwei kleinerer Schwächen ein großartiges Meta-Pop Album.
The Chemical Brothers: Born In The Echoes
Was, die Chemical Brothers gibt’s noch? Die haben mit ihrem Konzertfilm 2012 und dem Album Further doch quasi ihren Ruhestand verkündet? Bullshit! Die Pioniere sind zurück und war mit einem großem Knall. Auf Born In The Echoes geben Tom Rowlands und Ed Simons einen Scheiss auf die aktuelle Lage im #EDM-Genre. Das haben gestandene Musiker wie es die beiden sind auch gar nicht nötig. So besinnen die Männer aus Manchester sich stattdessen auf ihren Sound zurück und wirken dabei jünger und frischer denn je. Mit der Hilfe von St. Vincent und Beck schaffen es die Musiker zudem auch in der hippen Subkultur wahrgenommen und geschätzt zu werden. The Chemical Brothers zeigen, dass elektronische Musik „Under Neon Lights“ geschätzt werden soll und nicht auf Menschenverblödungsevents wie dem Tomorrowland. Wer braucht bei solchen Beats schon Torten?
DJ Rashad: 6613 EP/DJ Roc: Practice What U Preach
Dass Footwork mit Double Cup nicht das Ende seiner Entwicklung erreicht hat, zeigen zwei Releases des letzten Monats. Von DJ Rashad, der Mitte letzten Jahres überraschend gestorben ist, ist nun die zweite posthume EP veröffentlicht worden. Clarence Johnson, den man nur schwer im Internet findet, da DJ Roc anscheinend einer der häufigsten DJ-Namen ist, hat mit Practice What U Preach ein absolut seltsames Ding zwischen EP und Album herausgebracht.
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Während 6613 die vertrackten Rhythmen von Double Cup deutlich zurückschraubt und die jeweilige Grundstimmung der Songs unverblümt durch die Boxen presst – „Do Not Fuck“ nimmt gar Züge eines Videospiel-Soundtracks an – kommt Practice What U Preach viel enigmatischer daher. „Lowend Unity“ und der Titeltrack bringen Einflüsse von schmalzigem Jazz und R&B ein. „It Takes Two“ wendet sich vom Rap Rock der Beastie Boys plötzlich zugunsten von Cyberspace-Gefeuer ab. Songs wie „Destruction“ und „The Worst“ quellen von finsteren Orgelsamples über. Für sich genommen sind die beiden Veröffentlichungen gut, Practice What U Preach stellenweise sogar großartig („The Worst“ ist wahrscheinlich die einzige Footwork-Horror-Ballade; „Ready or Not“ bohrt sich auf äußerst unterhaltsame Weise in den Schädel). Als zwei entgegengesetzte Varianten eines Mikrogenres, in dem dem Anschein nach schon alles gesagt wurde, sind 6613 und Practice What U Preach überragend.
Earthly: Days
Earthly sind wie Mount Kimbie: ein Duo, das mit found sounds kleine, unaufgeregte musikalische Collagen erstellt, die unglaublich Spaß machen. Das Resultat ihrer Arbeitsweise ist Days, ein kurzweiliges Album voller glitchy electronics und zerhäckselter Stimmsamples. Während „RGB“ und „Ice Cream“ noch auf die Buntheit von Battles und den frühen Animal Collective hinweist, wenden sich Edaan Brook und Brint Hansen ab „Glaze“ mehr dem Noise zu. Mal ist das eingängig und songartig, wie auf „Games“, mal eher textuell interessant und atmosphärisch, wie das mit Saxophon verzierte „Daemon“. Ein bisschen erinnert das Ganze an Jefre Cantu-Ledesmas A Year With 13 Moons, das an der Schnittstelle zwischen Noise und Ambient steht. Wer Spirit They’re Gone, Spirit They’ve Vanished und Crooks & Lovers zu seinen Lieblingsalben zählt, wird Days mit in die Liste aufnehmen müssen.
Ezra Furman: Perpetual Motion People
In den USA streiten sich die Republikaner, wer denn jetzt der homophobste Kandidat für die Präsidentschaftswahl ist und währenddessen veröffentlicht ein Mann mit Vorliebe für roten Lippenstift eine der besten Indie-Platten des Jahres. Gemeint ist Ezra Furman, der mit seinem mittlerweile sechsten Studioalbum für ordentlich Furore sorgt. Der Mix aus Kammerpop und Indie-Rock à la Foxygen macht über die gesamte Spiellänge Bock. Das liegt daran, dass Furman die enorme Hingabe zu eingängigen Melodien hat. Songs wie „Hark! to the Music“ oder „Restless Year“ sind Hits, die Radiohörern wie auch Indie-Fanatikern gefallen werden. Lange galt der Musiker als verkanntes Genie, mit Perpetual Motion People könnte er aber jetzt zum Star aufsteigen.
Field Music: Music for Drifters
Ein instrumentales Indie-Album kann, muss aber nicht funktionieren. Im Fall von Field Music funktioniert es aber auf jeden Fall! Durch die vielen Interludes werden spielerische Brücken zwischen den jeweiligen Songs geschlagen. Außerdem beweisen sie, dass man auch mit simplen Instrumenten durchaus eine Stimmung schaffen kann, die sich dann noch in den Songtiteln bestätigen lassen. In „The Storm Gathers“ sieht man den ungemütlichen Sturm richtig auf einen zubrausen. Music for Drifters ist zugegenermaßen keine leichte Kost, aber dafür ist es auch nicht gedacht. Vielmehr ist es ein Meisterwerk eines Konzeptalbums, welches problemlos als Soundtracks für Filme fungieren kann.
Four Tet: Morning/Evening
Die ersten anderthalb Minuten von „Morning“ sind reiner four-to-the-floor Rhythmus. Man wähnt sich schon im vorletzten Deep House Mix, bis langsam der Bass erwacht und Lata Mangeshkars klare Stimme den Raum erhellt. Auch wenn man nicht versteht, über was in dem Sample gesungen wird, stellen sich sofort Bilder von kleinen Vögeln ein und von der Morgensonne, deren Strahlen durch die Blätter scheint. Der Song hat einen ähnlichen Effekt wie Bibios „Lovers‘ Carvings“, wenn man es in Dauerschleife laufen lässt (ja, schon ausprobiert). In der zweiten Hälfte plätschern die Pianotöne vor sich hin, während elektronische Sounds über sie hinab laufen. Kieran Hebdens achtes Album als Four Tet besteht aus zwei solcher Tracks, die jeweils 20 Minuten lang den Hörer einwickeln. „Morning“ wird von „Evening“ ergänzt, das sich ähnlich ungezwungen entfaltet. Wenn „Morning“ auch eindeutig der bessere Track ist, hat die B-Seite nichtsdestoweniger seine interessanten Stellen. Am Besten kann man die beiden Songs getrennt genießen. „Morning“ funktioniert gut als Wecker: motivierend, aber nicht stressig, und mit offenem Ende. „Evening“ hingegen fängt zaghaft an und führt einen langsam zum abendlichen Clubprogramm. Und am nächsten Tag nochmal genauso.
The Maccabees: Marks To Prove It
Lange galten The Maccabees als eine Art 1B-Variante der vielen britischen Indie-Bands. Mit dem anspruchsvollen Album Given to the Wild hat die Londoner Band dann vor drei Jahren erstmals bewiesen, dass sie sich durchaus zu Höherem berufen fühlt. Nun sind die vier Musiker also zurück und machen uns mit ihrer Heimat Elephant & Castle bekannt. Und mit dieser Bekanntschaft ist auch die Energie, die die Band in frühen Jahren ausgezeichnet hat, wieder zurückgekehrt. Gleich zu Beginn wirbelt einem der Opener „Marks To Prove It“ nur so um die Ohren. Es scheint als hätten The Maccabees gerade in einer wilden und unruhigen Stadt wie London zu ihrer inneren Ruhe gefunden. Denn genau wie ihre Heimatstadt ist das vierte Studioalbum mal düster, mal ruhig, mal feurig aufbrausend. The Maccabees sind auf Marks To Prove It endgültig zu einer 1A Band geworden!
Saint Raymond: Young Blood
Selbst wenn heutzutage immer jünger Musiker in den Hype-Himmel erhoben werden, sind 20 Jahre noch immer verdammt früh, um das erste Studioalbum zu releasen. Dies scheint Callum Burrows alias Young Blood aber nicht weiter gestört zu haben. Kein Wunder, so hatte der Musiker bereits vor Monaten ein paar Singles ins WWW entlassen, die allesamt positiv aufgenommen wurden. Das Debütalbum Young Blood ist also mehr eine logische Folge seiner Entwicklung. Und genau wie die Singles „Young Blood“ oder „I Want You“ kommt das ganze Album extrem locker und unbeschwert daher. Die Platte lebt von der Lockerheit und dem Flow, der einen im Sommer des öfteren mal packt. Im Winter hätte Young Blood höchstwahrscheinlich nicht die gleiche Wirkung. Gerade die Temperaturen machen das Album aber zum absoluten Glücks-Cocktail.
Touchy Mob: Let My Wild Boys Shine In the Boomers
Juhu, es wird wieder touchy! Und das schöne „Wedding Band“ gibt es endlich als Studioversion! Nach zwei Alben (davon ein Konzertmitschnitt mit Helen Fry), drei EPs und der Cake-Split EP mit Tellavision ist Ludwig Plath aka Touchy Mob mit Let My Wild Boys Shine In the Boomers zurück – und hat schon mehr für später im Jahr versprochen. Die letzte Scheibe des Wahlberliners ist zweieinhalb Jahre alt; ungefähr aus der gleichen Periode stammen auch die Songs auf Boomers. Die bewegen sich wie üblich zwischen Singer-Songwriter, kauzigem Folk und glitchy Electro. Wer Touchy Mob schon einmal live erlebt hat, hat sich wahrscheinlich in die sehr eigenen Kompositionen und den Humor des bärtigen Barden verliebt. Boomers steht dem Rest seines Katalogs in nichts nach, das schimmernde „Marcin“ und „So Small“ gefallen besonders. Plaths Songs wird man mit Beschreibungen selten gerecht, deshalb nur soviel: Hört es euch an, dann hört euch seine restliche Diskografie an und geht den Herrn mal bei einem Konzert sehen!
Fichon & Yannick