Ein kalter Monat mit vielen herzerwärmenden Momenten.
Das Semester ist vorbei, wir können uns endlich wieder auf unser Lieblingsthema konzentrieren: schöne neue Musik. Das Jahr hat auch gar nicht mal so übel angefangen, mit ein paar coolen Ankündigungen (Hot Chip! Courtney Barnett! Unknown Mortal Orchestra!) und natürlich frisch gepressten Alben. Um Letztere soll es hier auch wieder gehen, nach üblichem Prozedere und ohne weitere Umschweife daher voici unsere Alben des Monats Januar:
Aqualung: 10 Futures
Matt Hales hat auf seinen fünf Soloalben ein feines Gespür für Songwriting bewiesen. 10 Futures ist da keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil, die zehn Songs machen Bombast Pop endlich wieder salonfähig. Mit sieben Gastspots (u.a. von Sweet Billy Pilgrim und Kina Grannis) und Bassgeknarze („Everything“) geht 10 Futures weiter als seine Vorgänger – auch ein Zeichen dafür, dass Aqualung nach den Charts strebt. Hales‘ klares Organ klingt gut, wenn auch manchmal zu stark nach Jamie Woon oder Matthew Hemerlein. Das interessante am Album ist aber eher die Tatsache, dass der Brite mühelos von einem Genre zum nächsten springt. Der Opener „Tape 2 Tape“ fliegt über die restlichen Songs hinweg, doch „New Low“, „Shame on Me“ und „To the Wonder“ sind nichtsdestoweniger sonderbar catchy Poptunes. Manchmal klingt es zu geleckt, wie zum Beispiel wenn in die Ballade „Clean“ die Autotune-Stimme reinrutscht. Man muss zwar den Impuls unterdrücken, sich dafür zu schämen, dass einem 10 Futures gefällt, doch jeder Mensch braucht ab und zu ein Popalbum voller Grandeur.
Dengue Fever: The Deepest Lake
Rockmusik kann so einiges an Einflüssen aufnehmen und verschmelzen. Ob Indien (das White Album), Sudan (Sinkane), Südafrika (BLK JKS) oder Russland (die viel zu unbekannte Olga Bell), Künstler bedienen sich bei anderen Kulturen oder ihren eigenen Wurzeln und kombinieren das mit westlicher Rockmusik. Ein großer Name – fünf Alben, drei EPs und ein Soundtrack – sind auch Dengue Fever, die aber bisher eher außerhalb meiner Wahrnehmung musiziert haben. Umso faszinierender ist ihr neuester Cocktail aus psychedelischer Rockmusik und Kambodschanischem Pop. Die „klassischen“ Rocknummer des Albums („Rom Say Sok“) ist recht unaufregend, doch zum Glück ist der Großteil von The Deepest Lake energetisch, orientalisch und auf spannende Weise ungewohnt. Hitzeflimmern inklusive.
The Dodos: Individ
Yes! Erst Something Anorak und Caddywhompus, jetzt ein neues Album von den Dodos! Rauer Lo-Fi Folk Rock kann doch noch was. Das Duo aus Kalifornien lässt auf seinem sechsten Album Individ schon mit „Precipitation“ die sprichwörtliche Sau raus und ist sich nicht zu schade, das Niveau mit den restlichen Liedern durchzuziehen. Logan Kroeber ist an den Drums ziemlich unterwegs, während Meric Long vor allem durch den Gesang brilliert. Bei all dem harschen Getrommel und Geschrammel dient jener als emotionaler Anker, der für das nötige Gefühl, für die starken Emotionen sorgt. „Competition“ hat die Gitarrenfiguren und Gesangslinien von 00er Jahre Indie Rock und beweist, dass das Genre erst tot ist, wenn sich niemand mehr dafür interessiert. Überhaupt wirkt Individ, als befände es sich am letzten Scheideweg dieser Folk Rock-Spielart, wie ein Foto, das zu vergilben beginnt: Noch ist das aktuell, doch die Nostalgie setzt schon ein.
Francisco the Man: Loose Ends
Ganze sieben Jahre hat sich die Band aus LA für die Fertigstellung ihres Albums Zeit gelassen. Das Resultat heilt jedoch sämtliche Wunden, die durch das lange Warten aufgerissen worden sind. Es ist ein warmer Empfang, der zwar ab und zu an die kühlen Schotten von We Were Promised Jetpacks erinnert. Jedoch gehen Francisco the Man viel unbeschwerter (trotz langer Produktionszeit) an die Sache heran und mischen Genres wie Shoegaze und klassischen Alternative Rock spielend leicht miteinander. Insgesamt ist Loose Ends aber wie ein Flashback in eine Zeit in denen es noch rebellisch war sich Piercings stechen zu lassen. Mit Francisco the Man und ihrem Debüt blickt man jedenfalls gerne in diese Zeit zurück!
Jib Kidder: Teaspoon to the Ocean
Wo wir gerade bei der Indienphase der Beatles waren: Jib Kidders neues Album Teaspoon to the Ocean klingt auch ganz schön nach Ashram. Sean Schuster-Craig befreit sich über 40 Minuten von allem Weltlichen. Die wabernden Synthesizer und Gitarren kommen daher wie benebelnde Rauchschwaden, als würde Jib Kidder sich über Drogen religiöse Erleuchtungen schaffen wollen. Bizarrerweise klingt Teaspoon to the Ocean nicht so sehr nach dem Produkt eines Musikers auf LSD, sondern vielmehr als würde die Musik selbst durch einen „trip“-Filter gejagt werden. Der Gesang ist verwaschen und windet sich durch die Gehirngänge (besonders auf dem fast zehminütigen „Melt Me“), die Instrumente machen anscheinend, was sie wollen, und auch ein ziemlich unheimliches Saxophon schleicht sich von hinten an („The Waves“). Gleichzeitig bleibt die Musik im Kopf hängen und verlangt, wieder und wieder und wieder gespielt zu werden. Vieles deutet auf Drogenmusik hin, doch Teaspoon ist besser als das: ein Album, das nicht viel verlangt, um zu gefallen. Außer vielleicht Offenheit gegenüber ein bisschen Weirdness.
Panda Bear: Panda Bear Meets the Grim Reaper
Das fünfte Soloalbum von Noah Lennox ist genauso trippy, wie man es vom Animal Collective Sänger erwartet. Das fängt beim bunt gestreiften Cover an und zieht sich durch Videos, Songtitel und Musik. Während Avey Tare mit seinen Slasher Flicks ein Album voller organisch-orgiastischer Safaris veröffentlicht hat, geht es bei Panda Bear eher um das liquide Klima der Tropen. Songs wie „Crosswords“ und „Boys Latin“ bleiben gleichmütig, anstatt den nächsten Höhepunkt zu jagen. Da kann sich ein Song dann auch mal über sieben Minuten erstrecken („Come to Your Senses“), so verträumt fließt alles dahin. Grim Reaper erinnert in vielen Punkten an Merriweather Post Pavilion, jedoch mit mehr Electro als Pop. Ich glaube, der Grim Reaper hat verloren.
Petite Noir: The King of Anxiety EP
Der Vergleich zu Bloc Party liegt bei Yannick Ilunga so nah und doch so fern. Klar kann man sehr viel Kele Okereke im Oeuvre des jungen Musikers heraushören, man tut dies aber nur, wenn man es wirklich will. Denn eigentlich ist die EP von Petite Noir viel zu aufregend und eigenständig, um sie mit anderen Werken zu vergleichen. Der oft undurchsichtige aber erfrischende Sound der Platte wird des Öfteren von Post-Punk-Elementen begleitet und durch die klare und unglaublich abwechslungsreiche Stimme Ilungas geführt. Sie dient als Fremdenführer eines Eindringens in neue Gewässer. Willkommen beim King of Anxiety!
Pond: Man It Feels Like Space Again
Der Cousin von Tame Impala macht dem Original große Konkurrenz. Pond geben beim Nachfolgewerk von Hobo Rocket eine psychedelische, farbenfrohe Version von Pink Floyd ab. Den Australiern gelingt bereits beim Albumtitel Man It Feels Like Space Again der Große Wurf. Treffender könnte eine Platte wohl kaum heißen. Den Zuhörer erwartet nämlich eine abgedrehte, spacige Himmelfahrt in die Sphären des Psych-Pops, ja in die Sphären in die MGMT seit ihrem ersten Album versuchen aufzusteigen. Es wird so gekonnt mit Soundeffekten und Reverb-Elementen gedealt,so dass man weder psychedelische Drogen noch Pilze braucht, um sich in einen wahrhaftigen Rausch zu hören.
Viet Cong: Viet Cong
Ein Album zwischen den Subgenres. Die vier Musiker von Viet Cong toben sich in Spieloasen wie dem Psych oder dem Art und Prog-Rock rum, verstehen es aber, das Gesamtwerk dabei harmonisch aussehen zu lassen. Harmonie ist eh so ein Wort, das dem Album trotz des vielen Lärmes und Krawalls irgendwie gut zu Gesicht steht. Der wummernde Sound ist nämlich nie unbedacht und strapaziert die Hörorgane so auf eine sehr angenehme Art und Weise. Mit diesem Mix sind Viet Cong bereits so früh im Jahr heiße Anwärter auf den Posten der spannendsten Alben des Jahres.
Zun Zun Egui: Shackles‘ Gift
Zun Zun Egui haben sich in Bristol getroffen, aber das Quintett hört sich weder nach Drum’n’Bass an, noch besonders britisch. Shackles‘ Gift ist ihr zweites Album, eine explosive Mischung aus Funk, Punk, Art Rock, Noise Rock und Weltmusik mit Wurzeln in Mauritius und Japan. Zun Zun Egui sind massiv wie die Queens of the Stone Age, verrückt wie Battles, hypnotisierend wie die Master Musicians of Bukkake und dann klingt Sänger Kushal Gaya auch noch ziemlich nach Japanoise-Mastermind Yamataka Eye. Shackles‘ Gift ist eins dieser Alben, das man nichts ahnend anmacht, nur um vollkommen überrumpelt zu werden. Der Lautstärkeregler sollte übrigens für das beste Hörerlebnis bis zum Anschlag aufgedreht werden.
Fichon & Yannick