Mai
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Mit ganz viel Electropop, 10 Punkten für Nielson und einem Album über eine Pflanze
Wow, jetzt haben wir was zu tanzen. Der Mai sprudelt nur so über vor elektronischer, tanzbarer Popmusik: Citizens!‘ European Soul, Django Djangos Born Under Saturn, dazu das heiß erwartete Debüt von Shamir Bailey und Hot Chips Bestätigung als Veteranen und Könige des Genres. Selbst Unknown Mortal Orchestra lassen sich auf ihrem tadellosen dritten Album zum Einsatz von Synthesizern hinreißen. Außerdem dabei: eine Indie Rock Supergroup, Mikal Cronins MCIII und ein neuer Anlauf von den Vaccines. Auf geht’s, ab geht’s, drei Tage Musik!
Ben Khan: 1000 EP
Ben Khans neue EP 1000 reicht gerade einmal für den Weg in die Uni – wenn man sich beeilt. Die vier Songs, von denen keiner die Drei-Minuten-Marke überschreitet, sind mehr Skizzen als zu Ende komponierte Songs, doch selbst der kleine Einblick in Khans Schaffen erstaunt. Wie ein Gitarren-Jai Paul mischt der Londoner warme, wackelnde Synths, R&B-Gitarre und hinkende Production. Der Titeltrack und „Red“ implizieren Bewegung, wobei es bei „Red“ eine Fahrt durch die Hood ist und „1000“ eher den Highway sucht. „Zenith“ ist das, was einem ernsten Ben Khan Song am Nächsten kommt. Die Art, wie Ben Khan seinen Gesang und das lässige Gitarrenspiel in seine Songs integriert, ist einfach cool. 1000 stellt vielleicht einen Rückschritt zur ersten EP 1992 dar, aber vielleicht ist das ja auch ein Countdown und uns erwartet nächstes Jahr ein perfektes Album namens 0.
Boof: The Hydrangeas Whisper
Zu The Hydrangeas Whisper gibt es gar nicht so viel zu sagen. Das dritte Album von Maurice Fulton unter seinem Decknamen Boof tauchte Anfang April im Netz auf und ist seit diesem Monat auch auf Platte erhältlich. Seit dem Debütalbum Life Is Water For Gerbadaisies When They Are Dancing aus dem Jahr 2000 hat Fulton zwei weitere florale Boof-Alben herausgebracht, die sich ebenfalls zwischen Minimal, Techno und Space Disco bewegen. Ein Jahr nach It’s Album Time! und Prins Thomas III macht Fulton mit dem entspannten The Hydrangeas Whisper den Norwegern Konkurrenz. Minimalistische Disco-Tracks, die für einen House-Produzenten ziemlich viel Gitarre aufweisen. Highlight: der „Take Five“-, pardon, „Take Six“-via-Todd Terje-Pastiche „Emi’s M“.
Django Django: Born Under Saturn
Mit ihrem zweiten Album schaffen Django Django das, was niemand so recht erwartet hatte. Born Under Saturn befreit die Band von dem Western-Image, das beim Debütalbum zwar etwas Neues war und gut zum Mix aus psychedelischem Pop und galoppierendem Electro-Rock passte, doch irgendwann auch etwas fad wurde. Soviel hat sich am Sound eigentlich nicht geändert – der Fokus liegt auf den pseudo-komplizierten Rhythmen, die Gesangslinien sind akrobatisch und auch die Western-Gitarre taucht ab und zu auf. „Shake and Tremble“ könnte glatt auf dem nächsten Tarantino-Soundtrack auftauchen. Doch Born Under Saturn ist besser als Django Django, offensichtlich für den Dancefloor gemacht und subtil abwechslungsreicher. Vor allem muss man Born Under Saturn nicht live hören, um mitgerissen zu werden, wie das noch beim Debüt der Fall war.
Hot Chip: Why Make Sense?
Hot Chips sechstes Album ist laut Ryan Dombal gerade einmal ihr viertbestes. Doch kein Grund zur Sorge, „their fourth-best album is still a very good album. At this point, they seem too smart and talented to really fail.“ „Huarache Lights“ will uns erst noch weismachen, mit Why Make Sense? hätten die Londoner ihren Zenit erreicht. So gut ist es dann zwar nicht, doch verstehen Hot Chip inzwischen ihr Geschäft. Das Album ist unerwartet zurückgelehnt, nicht nur entspannt sondern geradezu entspannend. „Dark Night“ ist exemplarisch: mit Streichern überzogen und in die schicke Daft Punk-Kerbe schlagend. Jetzt da LCD Soundsystem passé sind und sich Metronomy, die Hot Chip den Titel „Könige des Tanzpop“ nahmen, als diese gerade „ready for the floor“ waren, auf ’60s Pop spezialisiert haben, scheint den coolen Nerds um Alexis Taylor selbst die Lust auf die Clubkrone vergangen zu sein. Ihren Dancefloor haben sie stattdessen nach draußen unter die Abendsonne verlegt.
Mikal Cronin: MCIII
Mikal Cronin hat einfach mal mit sämtlichen Beach Boys- und Strand-Klischees abgeschlossen, die ein Musiker aus Kalifornien halt so mit sich rumtragen muss. Sein neuestes Werk ist ein wuchtiges Noise-Pop-Album, das mehr Nostalgie und Herzschmerz beinhaltet, als so manch Gute Zeiten, Schlechte Zeiten Folge. Cronin ist aber keiner dieser Typen, die ein Hemd doppelt kaufen. So wechselt er nämlich auch auf seinem Album ständig zwischen den Genres und spielt schon mal mit psychedelischen Tönen auf die einst Kula Shaker ein Mango Lassi getrunken hätten. MCIII ist also ein reines Abenteuer, bei dem man zu keinem Zeitpunkt weiß, wie es ausgeht.
Palma Violets: Danger in the Club
Was war der Hype groß, als die Briten das erste Mal ins Rampenlicht gerückt sind. Die neuen Libertines, die Nachfolger von Oasis oder am besten gleich beides zusammen sollten sie werden. Wenn die NME eine Band so in den Himmel lobt, ist der Fall meist tief und schmerzhaft. Mit ihrem Debüt 180 konnten sie den Erwartungen zwar nicht ganz gerecht werden, sind jedoch noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen. Frisch erholt und nach hörbar vielen, langen Nächten in Pubs versuchen Palma Violets es noch ein zweites Mal und wirken auf Danger in the Club dabei fokussierter als je zuvor.
Pfarmers: Gunnera
Pfarmers ist eine Supergroup bestehend aus Danny Seim, Bryan Devendorf und Dave Nelson. Letzterer ist Posaunist und hat schon mit David Byrne & St. Vincent gespielt, während Seim und Devendorf als Drummer von Menomena und the National bekannt geworden sind. Ihr gemeinsames Projekt ist, ja wirklich, ein Konzeptalbum über die Gunnera-Pflanze auf dem Cover. Musikalisch ist das viel aufregender, als man denken würde. Die Songs erinnern an Menomena, nicht zuletzt wegen Seims markanter, verschlafener Stimme. „How to Build a Tube“ wäre auf Mines gar nicht aufgefallen. „Work for Me“ erinnert an Sufjan Stevens‘ All Delighted People EP, auf der Nelson auch schon zu hören war. Für „The Ol‘ River Gang“ haben Pfarmers sich den Titel „Nachwuchs-These New Puritans“ verdient. Wieviel davon von Devendorf und Nelson kommt, kann man schlecht sagen. Das Album deutet darauf hin, dass Seim die treibende Kraft hinter Pfarmers ist – und nach wie vor einer der kreativsten Köpfe im Indie Rock.
Shamir: Ratchet
Ratchet ist sassy und extravagant, genau wie Shamir Bailey. Nachdem der Junge aus Las Vegas, dessen Style auf dem Afropunk-Festival wie der Ring in die Nase passen würde, mit „If I Wasn’t True“ sein Debüt zum am meisten erwarteten Album 2015 gemacht hatte, liefert er ebenjenes jetzt mit kaum Enttäuschungen ab. Würde man Disclosure, die Spice Girls und Azealia Banks mit Prince-Platten und einem Stroboskoplicht in einen Toys’R’Us sperren, käme dabei so etwas wie Ratchet heraus. Der Spannungsbogen ist bis auf den gemäßigten Opener „Vegas“ dem der Northtown EP vom letzten Jahr ziemlich ähnlich. Wie auf Northtown gibt es auch hier eine Ballade, „Demon“, und sogar einen Bonustrack, der nur aus Akustikgitarre und Gesang besteht (aber nur halbs so gut ist wie „Lived and Died Alone“). Das Gros der Songs schreit aber vor allem lauthals und mit androgynem Kontratenor nach Party.
Unknown Mortal Orchestra: Multi-Love
Ist man erstmal über die ersten paar Minuten von Multi-Love hinweg, denkt man: „Ach, so anders ist das neue Unknown Mortal Orchestra Album doch gar nicht.“ Stimmt, das dritte Album der Popfunk-Weirdos um Ruban Nielson ist zwar irgendwie noch weirder (ist das ein Muzak-Saxophon auf „Extreme Wealth and Casual Cruelty“?!), aber auch unverkennbar Ruban Nielson. Unknown Mortal Orchestra schaffen das Unglaubliche und verwandeln sich von der schmuddeligen Raupe zum blinkenden Schmetterling, ohne den Funk-Kokon zu verlassen. Diese Allegorie tut dem Kopf weh, zugegeben. Belassen wir es dabei: Künstlerische Entwicklung, wie sein sollte. Das kann einem dann schonmal die Höchstpunktzahl wert sein.
The Vaccines: English Graffiti
Was macht man, wenn man kein Teenage Icon mehr sein will? Richtig, man legt sich einen Look zu. Bei den Arctic Monkeys geschah dies mit dem dritten Album Humbug und auch bei den Vaccines soll es Album Nummer Drei sein. An Songs wie „Dream Lover“ ist der Umbruch auch deutlich zu erkennen. Düsterer und ernster wollen sie sich geben. Doch dies gelingt ihnen nur zum Teil, denn the Vaccines sind zwar etwas kitschiger in ihrem Sound geworden, haben ihre Lockerheit aber Gott sei Dank nicht vollends abgelegt. Das Tanzbein darf also weiterhin unbedenklich geschwungen werden.
Fichon & Yannick