Mit dem Technoviking, Taylor Swift und dem Staubsauger aus Teletubbies
Neues Jahr, neues Glück. Einen Monat haben wir schon verstreichen lassen, bevor wir uns nun wieder dem monatlichen Best Of zuwenden. Ein Kandidat für die besten Alben des Jahres – Savages‘ Adore Life – war auch schon dabei. Im Februar sind es eher die kleinen Gesten und die subtilen Songschreiber, die es in diese Liste geschafft haben. Mit „Afro“-Techno, Odd Pop und minimalistischem Singer/Songwriter dürfte aber auch diesmal für jeden etwas dabei sein.
Africaine 808: Basar
Tanzmusik muss ja nicht immer zum Tanzen da sein. Africaine 808s Basar funktioniert ebenso gut auf wie abseits der Tanzfläche, zum Beispiel bei einer 75 Minuten langen Wanderung durch eine überhaupt nicht afrikanisch anmutende deutsche Großstadt. Da ist es gleichzeitig erstaunlich als auch erwartbar, dass der DJ Africaine 808 gar nicht aus Afrika stammt, sondern aus Köln-Berlin und eigentlich Dirk Leyers und Hans Reuschel heißt.
Ja, die beiden Herren, Raveveteranen der ersten Stunde, die den Technoviking live erlebt haben, wie es bei Groove zu lesen ist, führen den unkritischen Hörer durch Projektname und Albumtitel schön auf den Zebraholzweg. Leyers und Reuschel aka DJ Nomad spielen mit dem unkritischen Blick, sie sind sich der Diversität des Kontinents (natürlich) sehr wohl bewusst und können den jeweiligen Einfluss – Senegal, Mali, Nigeria – präzise benennen. Kein kopfloser Hipstershit also, sondern meta-kopflos. Auch wenn man, und das macht das Spiel so erfolgreich, Basar genauso gut ohne Hintergrundwissen genießen kann, als gute, von verschiedenen afrikanischen Stilen beeinflusste Bewegungsmusik.
Field Music: Commontime
Commontime, das fünfte Album von Genesis Field Music, ist zwar ziemlich lang für ein Prog-Album, aber dafür auch ungewöhnlich leichtfüßig. Trotz aller Versuche, mit Streichern ein bisschen Highbrow-Appeal auf die Songs zu klatschen, wippen sich die Brewis Brüder recht discoid durch die 57 Minuten. Commontime ist teils der gute, alte Prog Rock der Siebziger (ohne die 30-minütigen Epen), teils die nach Plastik schmeckende Achtzigervariante in buntem Anzug (oder die sehr köstliche in weißem). Ihr wisst schon, Peter Gabriel vs. Phil Collins, Pictures at an Exhibition vs. „Owner of a Lonely Heart“.
Nach dem instrumentalen Soundtrack zu Drifters vom letzten Jahr tut es gut, mal wieder den akrobatischen Gesang der Gebrüder zu hören. Der kann bisweilen sogar als Soloinstrument fungieren, wie „That’s Close Enough“ mehr als eindrucksvoll beweist. Den Großteil der Attraktivität von Commontime, wie von jedem Gentle Giant Field Music Album, sind die ungeraden Rhythmen und die gute Laune. Man fühlt sich, als würde man durch eine M. C. Escher Version der Teletubbies-Landschaft springen. Und „The Noisy Days Are Over“ ist in seinem Talking Heads-Swagger ein Loblied auf den Staubsauger!
Florist: The Birds Outside Sang
Emily Sprague hat eine Post Pop Depression. Anders als Iggy Post Pop verarbeitet sie die aber so, dass es nicht nach Zynismus klingt. Obwohl The Birds Outside Sang ein Bandprodukt ist, klingt das erste Album von Sprague als Florist wie ihr eigener, trauriger Blick auf ihre eigene, traurige Welt. Kommt einem auch bekannt vor, aber anders als Chan Marshall springt die Depression nicht auf den Hörer über. Dadurch, dass sie ihre Texte selbst schon detachiert und mit einer Mischung aus Poesie und Humor vorträgt, dringt eben das zum Hörer durch und nicht das, was ihn herunterreißt.
Eigentlich wollte ich etwas ganz anderes sagen, aber das ist auch so ein Effekt, den das Hören von The Birds Outside Sang hervorruft. Jeder Versuch, einen Text über das Album zu schreiben, resultiert in einer komplett neuen Review, denn jeder Song ist ein (Achtung Phrasenalarm) eigenes kleines Minimalpop-Poem, das sich textlich, musikalisch sowie in Stimmung und, anfangs, Länge vom Vorhergegangenen unterscheidet. Mal erinnert es an Courtney Barnetts Fähigkeit, an scheinbar unbedeutenden Kleinigkeiten eine ganze Welt aufzuziehen. Der orgellastige und in seiner Schwermütigkeit orgiastische Titeltrack ruft the Microphones in Gedächtnis, „White Light Doorway“ dann Sufjan Stevens, bis hin zur Gesangslinie. Alle Songs sind „moving at a perfect speed“, dem Album ist nichts vorzuwerfen. Außer vielleicht, dass es eine Depression hervorruft, wenn man gezwungen wird, es abzuschalten.
Kedr Livanskiy: January Sun EP
This one is for you, Globalisierung! Kedr Livanskiy ist zwar weit davon entfernt, eine Wunderentdeckung aus dem Internet zu sein – das Projekt der Russin Yana Kedrina ist über das Moskauer DIY-Label John’s Kingdom zu Mike Simonettis (ex-Italians Do It Better) und Mike Snipers (Captured Tracks Gründer) Label 2MR gekommen und dann über Pitchfork zu the Postie; durchaus traditionelle Distributionswege also – aber vor 1990 wäre das Projekt gar nicht erst zustande gekommen.
Einerseits, weil es das Geburtsjahr von Kedrina ist, andererseits, weil die Einflüsse, die sie aufzählt, ihren Weg wohl, hätten sie damals schon existiert, nicht nach Russland gefunden hätten: Death Grips, Inga Copeland, Rashad, Legowelt, die crème de la crème des Darkroom-Techno (bitte nicht als Genrebezeichnung übernehmen). Die January Sun EP hätte auch Taylor Swift-style 1990 heißen können, die Synthesizer und Drummachines klingen arg nach kaltem Krieg. Was January Sun dann doch noch aus der Ecke drogengeschwängerten Drum’n’Bass’/Technos/Trip-Hops herauslöst und in einen zeitgenössischen bedroom producer Kontext verpflanzt, sind die wie Samples übereinander lagernden Vocals. Auf Russisch, versteht sich.
Santigold: 99¢
99¢ ist Gute-Laune-Musik. Santi White vermischt auf ihrem dritten Album erneut die verschiedenen guten Stimmungen von Reggae, Dance und Pop, wie nur sie es kann. Angeführt von der vermeintlichen Narzissmus-Hymne „Can’t Get Enough of Myself“ zeigt 99¢, wie gut White ihr Selbstvertrauen steht. Der Opener und „Banshee“ (Chorus: „Rip it up, I’m having a good time“) nehmen es glatt mit dem Überhit „Disparate Youth“ auf, die dritte Single „Chasing Shadows“ und „All I Got“ sind in der Rangliste der besten Santigold Songs nur knapp dahinter. Der Rest ist zwar nicht meisterhaft, aber selbst langsamere Songs wie „Walking In a Circle“ und „Who Be Lovin Me“ machen Bock und gliedern sich in das Album ein.
In einer Hinsicht ist 99¢ deshalb auch ein Versagen: Das Album ist textlich von Kulturpessimismus und Sozialkritik geprägt (White: „Wir leben in einer Zeit voller Machtlosigkeit“), trägt darüber aber die Maske der überfröhlichen Musik. Jene Maske hat White dabei so bunt gestaltet, dass die Kritik dahinter glatt verschwindet. 99¢ ist ein Paradox, denn: Eine Maske soll ja zugleich etwas verstecken und die Präsenz des Versteckten durch die Künstlichkeit des Versteckenden andeuten; beim Hören des Albums vergeht einem allerdings jegliche Lust, jene Präsenz anzuerkennen. Man läuft Gefahr, sich wie bei Spring Breakers mit der Maske selbst zufrieden geben. Deshalb: 99¢ mit Vorsicht genießen!