Hey Rosetta! – Second Sight

Wenn doch „Second Sight“ vor 15 Jahren erschienen wäre! Dann hätte das vierte Album der Kanadier von Hey Rosetta! wohl so manchen Indie- und Pop-Rock-Hörer vom Hocker gerissen. Auf „Second Sight“ finden sich ein Dutzend Songs, die mal diesen, mal jenen Trick aus dem Indie-Handbuch verwerten, um eine rundum feierliche, folk-getönte Erfahrung abzuliefern. Piano und Gesang, der bestimmt schon oft als „voll schön“ bezeichnet wurde, werden über konventionelle Indie Folk Strukturen gelegt. Das Ganze ergibt dann eine Art Bombast Pop, Other Lives meets Bombay Bicycle Club, oder um es anders zu sagen: einen „Best of ’00s Indie“ Sampler, nur alles von einer Band und ohne die wirklich guten Songs.

Eingeläutet wird das mit „Soft Offering (for the Oft Suffering)“, das mit einer zahmen Version der Drums von Bon Ivers „Perth“ aufwartet und die Hörer mit Tim Bakers Stimme vertraut macht. Jene ist in ihrer Lebensbejahung der von Chris Martin so ähnlich, dass man Hey Rosetta! ohne viel Nachdenken als „Coldplay in Indie“ bezeichnen kann. Das Gefühl zieht sich durch das ganze Album, Songs wie „Dream“ und „Promise“ helfen dabei ungemein. Wenn es mehr in die folkige Richtung geht, kann man es sich besser anhören, aber auch das wird nach zweimal Hören fade. Man findet außerdem manche altbekannte Liedtypen auf „Second Sight“: „Kintsukuroi“ ist der Festival-Hit, bei dem man sofort tanzende Jugendliche mit Blumenkränzen, Sonnenbrillen und Seifenblasen im Kopf hat; die semi-akustische Nummer darf natürlich auch nicht fehlen, dafür gibt es „Cathedral Bells“.

Die Rock Ballade des Albums, „Harriet“, schafft es dann überraschenderweise, ein guter Song auf einem schlechten Album zu sein. Das Lied hat einen 7/8-Rhythmus, der am Ende jeden Taktes links einen Walzer antäuscht und sich dann doch rechts wegduckt, und dazu noch ab und zu den einen extra Schlag zum geraden Takt durchzieht. Die Streicher im Refrain sind schön vorne im Mix und fungieren anstatt als reine Hintergrund-Ornamentierung hier als rhythmischer und stimmlicher Kontrast zur Gitarre. „Trish’s Song“, das Outro, ist dann wieder Coldplay, als Coldplay noch kulturell relevant waren. Mag sein, dass das bei Hey Rosetta! auch mal der Fall war – es gibt sie schon seit 2005, ihre letzten beiden Alben wurden immerhin für den Polaris Music Prize nominiert. Doch „Second Sight“ nach zu urteilen leben sie in einer Welt, in der diese Indie-Tropen noch nicht abgegrast worden sind. Wenn man auf einem Nostalgie-Trip ist und sich nach „Best of ’00s Indie“ sehnt, warum dann nicht einfach die Alben hören, die Indie in den ’00er Jahren zu so etwas Gutem gemacht haben?

 

Beste Tracks: „Harriet“

VÖ: 24/10 // Unter Schafen/Alive!

 


 

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Fichon

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