Karies – Es geht sich aus

Es reicht, denn es reicht nicht mehr: Das zweite Album des Stuttgarter Trios vertont das Ende der Liebe und den Frust vor dem Ende.

Punk kann jeder. Jammern und frustriert sein auch. Mit einem Album wie Es geht sich aus das baldige Ende der Liebe klanglich anspruchsvoll zu vertonen statt es nur zu besingen, das bleibt zurzeit nur Karies beschieden. Die Stuttgarter veröffentlichen mit ihrem zweiten Langspieler ein Monstrum, das sie aus dem Schatten der verwandten Nerven zerrt.

Was auffällt an den elf Songs ist die Abwesenheit über weite Strecken von Gesang bzw. Text. Die Gefühle in Worte zu fassen ist sekundär. Vor allem soll der Enttäuschung und dem Frust freier Lauf gelassen werden. Nur ab und zu wird dem, der sie an der erbarmungslosen klanglichen Monotonie nicht erkennt, mit Worten auf die Sprünge geholfen. Das passiert dafür umso direkter und boshafter. Sänger Benjamin Schröter beginnt mit dem Satz „In deiner Umarmung will ich heut Nacht nicht schlafen,“ bevor er sich korrigiert: „… in deinem Griff.“ Die erste der wenigen Textzeilen auf „Überlegen“ zeichnet ebenfalls das Bild einer Umarmung bar jeglichen Gefühls: „Mit dem Kinn in meinem Nacken / umgreifen Arme / einen Menschen den es früher einmal kannte.“

Bei einer Band wie Karies – deutschsprachig, punkig, Stuttgart – ist der Aktualitätsbezug schon von vornherein gegeben. Sie als „die neuen Soundso“ zu bezeichnen, wäre hingegen falsch. In den boshaften Halbtonschwankungen der Gitarren steckt ein bisschen Sonic Youth; für Vergleiche mit jugendlich klingenden Bands wie Cloud Nothings fehlt die naive Wut, Karies klingen viel desillusionierter. Der Titeltrack kommt einer Eruption am nächsten, richtig kathartisch wird er trotz geschrienem „es geht sich aus“ aber nicht. Ähnlich düstere Bands wie die Nerven und Messer sind selbst noch neu genug. Karies haben sich ihre eigene Nische gegraben, ihren eigenen Klassenraum in der Stuttgarter Schule.


Es geht sich aus ist kein Schlussmachalbum, sondern die Etappe davor.

Interessant auch: Die Musik wirkt über Boxen nicht so gut, wie wenn man sie durch Kopfhörer erfährt. Das liegt zu gleichen Teilen daran, dass die Gitarren nah am Ohr ihren für das Album immens wichtigen Klang am besten entfalten und an dem klaustrophobischen Effekt, den das Abkapseln von der Außen- und das Hineintauchen in die Welt von Karies nach sich zieht. Max Noseks Bass schrammelt stur vor sich hin, Philipp Knoth begnügt sich hinter seinem Schlagzeug mit dem Notwendigsten. Den Gitarren wird damit eine Bühne gegeben, auf der sie Gift und Galle spucken oder vor Verzweiflung jaulen können.

Dass Es geht sich aus kein Album ist, dass man sich ständig anhören kann, ist ob der Stimmung, die es verbreitet, selbstverständlich. Das darf aber nicht als Kritik verstanden werden. Das Album ist spezifisch und nur in seiner Spezifität vollkommen. Vom eisigen Opener „Es ist ein Fest“, der den Bruch ankündigt („Wir werden glücklich getrennt sein / und frei für immer.“) zum akustisch anmutenden „Einheiten“ ist Es geht sich aus ein Narrativ. Es ist keine Liedersammlung, sondern eine Einheit. Das Format Album für tot erklären könnt ihr gefälligst woanders.

Das Attraktive an Schlussmachalben ist, dass man dem emotionalen Ausbruch beiwohnen (und auf die eigene Situation übertragen) darf, der auf den Untergang einer Liebesbeziehung folgt. So einfach machen Karies es uns nicht. Es geht sich aus ist kein Schlussmachalbum, sondern die Etappe davor. Es ist das musikalische Pendant zu einer Beziehung, die endgültig in einer Sackgasse gelandet ist: warten auf den Ausbruch, hoffen auf die Erlösung.

Beste Songs: Überlegen, Frage Antwort, Es ist ein Fest

VÖ: 04/11 // This Charming Man Records

„Keine Zeit für Zärtlichkeit“:

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