Drangsal – Harieschaim

Die Semiotik des Tattoos: Max Grubers Debütalbum ist das Einmaleins der Post-Punk/New Wave-Vergangenheit.

Böse Zungen behaupten, Musik wäre heutzutage nur noch Recycling. Diese bösen Zungen denken dabei an Harieschaim. Das erste Album von Max Gruber alias Drangsal wird gerade als das „next big thing“ (taz.de und Electronic Beats) gefeiert, dabei ist es dasselbe „thing“ wie the Cure Ende der ’70er – was nicht heißen soll, dass Drangsal nicht stellenweise großartig wäre. Es ist schlicht so, dass Gruber das Vokabular perfekt beherrscht, mit dem Robert Smith und Morrissey ihren Gefühlen vor 30 Jahren Ausdruck gaben.

„Allan Align“, die erste Single aus Harieschaim, verdeutlicht das am besten. Der Song ist nicht mehr und nicht weniger als ein Post-Punk Tutorial. Da steckt alles drin, was der Bastler zuhause für einen Hit braucht: der unmittelbar wiedererkennbare pulsierende Rhythmus, leidender Gesang und nicht weniger pathetischer, weiblicher Backgroundgesang, ein Text voller Nostalgie und Militärvokabular, dessen Aussage sich auf „Lebe dein Leben, du hast nur eins“ herunterbrechen lässt, blecherne Gitarren, „hey!“-Rufe und primitive Trommelakzente. Sogar das Ende stimmt: Ohne instrumentalen Hintergrund stöhnt Gruber nochmal eine vage Lebensweisheit ins Mikro („You gotta get going now / life, it will not wait.“), bevor der Song mit einem letzten „hey!“ verschwitzt sein Ende findet.

Wer die Post-Punk und Wave Bands der ’80er Jahre mag, hat mit Harieschaim einen neuen besten Freund gewonnen. Drangsal kann jene zwar nicht ersetzen – dafür fehlt den Songs die Originalität – aber den Sound und die Stimmung zu emulieren klappt super. Lediglich bei „Do the Dominance“ ist der Morrissey’sche Zynismus im Text zu offensichtlich und lässt den ansonsten guten Song etwas abstoßend erscheinen. Die zweite Hälfte ist außerdem interessanter als die erste, da dort über den inzwischen zu oft wiederverwerteten Post-Punk hinaus den New Wave Keyboards von the Cure und Indochine mit „Moritzzwinger“, dem industriellen „Sliced Bread #2“ und „Wolpertinger“ Ehre erwiesen wird.

Wie bei Marilyn Manson, den Gruber als frühen Einfluss benennt, geht es bei Drangsal um mehr als nur Musik. Deshalb trägt das Projekt auch einen Namen, der Leiden bedeutet und nach Dringlichkeit klingt; deshalb prangt auf dem Cover ein Tattoo, ehemals soziales Statement und genauso mit Leiden(schaft) konnotiert wie die roten Rosen und Früchte, die es umgeben; deshalb ist der Schauplatz des Videos zu „Allan Align“ eine Kirche, die später ebenfalls rot leuchtet und die es Gruber ermöglicht, ein schwarzes Gewand mit engem Kragen zu tragen (hier hätte nur noch die Selbstkasteiung gefehlt, um die Karikatur perfekt zu machen). Harieschaim ist ein Spiel mit Zeichen, bei dem man jedes Wort und jeden Gitarrenton auseinandernehmen könnte, ohne jemals an ein Ende zu kommen.

Gleichzeitig ist die generelle Richtung, in die Harieschaim einen schickt, nur zu deutlich. ‚Popsongs‘ und ‚Strenge‘ sind die Stichworte, wie Savages mit „Take On Me“-Faible. Drangsal bietet zwar nichts Neues, aber sehr gut gemachtes Altes, bei dem man gerne hängen bleibt. Man kann Gruber nicht böse sein, dass er die Musik, mit der er aufgewachsen ist, nun selbst nachmacht. Der Sound der ’80er ist nun mal infektiös wie kaum ein anderer. Auf musikjournalistischer Ebene führt in diesem Jahr tatsächlich kein Weg an Drangsal vorbei, wie der Musikexpress es behauptet. Musikalisch hingegen fragt man sich, ob Gruber in der Zukunft auf anderen als den ausgetretenen Wegen wandeln kann.

Beste Songs: Allan Align, Moritzzwinger, Sliced Bread #2

VÖ: 22/04 // Caroline Records

„Love Me Or Leave Me Alone“:

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