Alben des Monats – März 2015

Gitarre, Schlagzeug, Bass adé

Die Welt steht Kopf. Das Hip-Hop Album des Jahres ist Jazz, Only Real mixt Rap und Indie und Liturgy, die eigentlich Black Metal machen, freunden sich mit Dudelsäcken an. Die nennenswertesten Alben des März verhalten sich wie Aprilwetter. Zum Glück gibt es noch ein paar Anker: Modest Mouse haben ein respektables Comeback-Album hingelegt, Courtney Barnett sitzt und denkt. Am Ende unserer Liste kommt das Akustikgitarren-Wohlbefinden gleich im Dreierpack. Im März ob der Hausarbeiten keine Musik gehört? Dann fangt hiermit an:


Courtney Barnett: Sometimes I Sit and Think, and Sometimes I Just Sit

sometimes i sit kleinSometimes I Sit and Think, and Sometimes I Just Sit ist das erste Album von Courtney Barnett, das nicht aus zwei zusammen veröffentlichten EPs besteht, und das hört man auch. Während auf A Sea of Split Peas die erste Hälfte deutlich spannender war als die zweite, ist das zweite Album der Australierin ausgeglichener und reifer. Nach zehn Minuten versinkt Barnett in „Small Poppies“, um am Ende mit rauer Stimme wieder herauszubrechen. „Kim’s Caravan“ nimmt sich Zeit, der weitschweifende Song gehört mit zu Barnetts besten Kompositionen, musikalisch wie textlich. Sit ist deutlich abwechslungsreicher, von der garage-igen ersten Single „Pedestrian at Best“ zum gehauchten „Boxing Day Blues“, der das Album abschließt. Als Musikerin ist Barnett endlich auf dem gleichen Level wie als Erzählerin.


Ghostpoet: Shedding Skin

15ghostpoetObaro Ejimiwe aka Ghostpoet ist viel zu unbekannt! Naja gut, mit Auftritten auf dem Glastonbury und dem Sónar Festival sowie im Vorprogramm von Metronomy ist ‚unbekannt‘ vielleicht übertrieben. Sein drittes Album Shedding Skin, das beizeiten Some Say I So I Say Light noch übertrifft, sollte ihn jedoch mal ins Rampenlicht schieben, der Brite hat es verdient. Zum Einen für den Mix aus Trip-Hop, Athmosphäre und Live-Band, zum Anderen für den markanten Bariton. Songs wie „X Marks the Spot“ und das Fink ähnliche „Be Right Back, Moving House“ klingen dabei noch organischer als das bisherige Material – von Third-Ära Portishead („That Ring Down the Drain Kind of Feeling“) zu Porcupine Tree („Yes, I Helped You Pack“). Ghostpoet ist die Après-Garde des dunkelgrauen Trip-Hop von Massive Attack, Shedding Skin ist sein Heligoland.


Kendrick Lamar: To Pimp a Butterfly

homepage_large.d47a5880Nelson Mandela und Tupac mal beiseite: Kendrick Lamars drittes Album, To Pimp a Butterfly, hört sich unglaublich gut an. Lamar hat neben Dr. Dre eine Handvoll Jazzmusiker involviert (u.a. Pianist Robert Glasper, Thundercat und Produzent Terrace Martin), die zuletzt schon hinter Flying Lotus‘ You’re Dead! steckten. Vom Startschuss „Wesley’s Theory“ bis zum zwölfminütigen „Mortal Man“ vereint Butterfly Hip-Hop und Jazz, weniger free als FlyLo, aber nicht weniger befreiend. Mehr noch als good kid, m.A.A.d. city, das am höchsten gelobte Rap-Album der letzten 15 Jahre, ist der Funk/Jazz/Rap/Vocal von Butterfly über Genrevorlieben hinweg geradezu transzendent. Du musst keine Jazz Cat sein, um To Pimp a Butterfly zu lieben, kein Compton Kid mit schwierigem sozialem Stand und kein soziologisierender Feuilletonist. Öffne deinen Geist und lass den Beat in dein Blut, die Euphorie kommt dann von alleine.


Liturgy: The Ark Work

Liturgy_-_The_Ark_Work_coverMIDI-Fanfaren, Dudelsäcke, Engelsgesang und Greg Fox: Mit Liturgys drittem Werk platzt das Black Metal Gewand aus allen Nähten. The Ark Work kommt zwar nicht ganz an Aesthetica ran, jenes experimentelle Black Metal Opus, mit dem das Quartett aus Brooklyn auf sich aufmerksam gemacht hat. Will es aber auch gar nicht. The Ark Work ist so wirr und avant-gardistisch, dass Sänger Hunter Hunt-Hendrix Liturgy mit seiner Öffnung zu Videospielmusik und Death Rap gleichzeitig vielen Hörern verschließt. Zu sagen, The Ark Work sei gewöhnungsbedürftig, ist ungefähr so akkurat, wie To Be Kind als lang zu bezeichnen. Das Album ist eine intellektuelle Herausforderung, die Unterhaltung zugunsten von Kunst und Philosophie hintanstellt. Manchmal muss es eben weh tun.


Mini Mansions: The Great Pretenders

mini-mansions-great-pretendersDas Trio aus L.A. hat mit The Great Pretenders eines der spannendsten Pop-Platten des Jahres rausgehauen. Die Band um den QotSA-Bassisten Michael Shurman liefert Musik wie aus der Röhre. Ein aufregender 60ies Songs folgt dem nächsten. Wenn dann auch noch Alex Turner und Brian Wilson auf einer Platte auftauchen, ist das Musikerglück so gut wie perfekt. Mini Mansions sind nicht nur durchgehend adrett gestylt und haben den Scheitel mit dem Metermaß gezogen, sondern liefern auch noch ein dementsprechendes Album. Wenn Radiostationen sich wieder zu etwas „coolem“ mausern wollen, sollten sie sich diese Platte auf keinen Fall entgehen lassen.


Modest Mouse: Strangers To Ourselves

strangerstoourselvesMan hatte sie eigentlich schon abgeschrieben und nun sind sie urplötzlich wie Phoenix aus der Asche wieder empor gestiegen. Mit Strangers To Ourselves beweisen Modest Mouse ihren Kritikern, dass sie noch lange nicht zu alt für den Musikbiz-Scheiss sind. Acht Jahre sind vergangen, seit die Band aus Washington ihr letztes Album veröffentlicht hat. Viele Musiker hätten nach solch einer langen Pause wohl eher den Ruhestand genossen, oder ein belangloses Solo-Projekt à la „ich erfinde mich neu, mache aber noch immer die gleiche Musik“ gegründet. Modest Mouse sind aber in dem Fall den steinigeren Weg gegangen und haben ein mehr als solides Album hingelegt, das Bock auf mehr Indie macht.


Only Real: Jerk At The End Of The Line

ArticleSharedImage-45040Niall Galvin steht für eine Generation an Jugendlichen in Großbritannien, die nicht so recht wissen was sie mit ihrer Zeit anstellen sollen. Only Real hat dann den einzig richtigen Schritt gemacht und hat beschlossen über Longboards, Cadillac Girls und Cornflakes zu singen/rappen. Nun hat er mit Jerk At The End Of The Line sein erstes Werk in den Hahnenkampf der Musik geworfen. Die oft ziemlich unterhaltsamen Texte werden begleitet von sommerlichen Indie-Rap-Melodien und lassen einem die Sonne aus dem Arsch scheinen. Der junge Brite, der oft mit einem gewissen Jamie T verglichen wird, hat damit seinen mehr als gelungenen Beitrag für diesen Somer geleistet.


Ryley Walker: Primrose Green

ryleywalker-primrosegreenHätten die zahlreichen Blumenmädchen auf Festivals auch den ihrem Look entsprechenden Musikgeschmack, wär Primrose Green wahrscheinlich ein Segen für sie. Mit einer Mischung aus Jazz, Folk und seinem Gespür für angenehme Melodien verzaubert Ryley Walker nicht nur junggebliebene Hippies, sondern gibt auch den sogenannten „Wannabes“ einen Eindruck wie es wirklich in den 60ern gewesen sein muss. Trotz sämtlichem Retro-Kitsch versteht es der Musiker aus Chicago seine Platte mit geschickten Texten und Arrangements im Hier und Jetzt zu positionieren und phasenweise den Nick Drake zu mimen.


Sufjan Stevens: Carrie & Lowell

26035-carrie-lowell kleinSufjan Stevens pendelt zwischen sensiblem Genie und genialem Wahnsinn hin und her: vom eklektischen Frühwerk zum warmen Indie Folk von Michigan und Seven Swans zum freak out!-Electro auf The Age of Adz und mit Sisyphus. Mit Carrie & Lowell kehrt der Multiinstrumentalist und gläubige Christ wieder zum Analogen zurück. Besonders „Death With Dignity“, „Should Have Known Better“ und der Titeltrack beweisen mal wieder, dass Stevens eine Gitarre und seine Stimmbänder genügen, um musikalische Schönheiten zu kreieren. Carrie & Lowell schafft es, den Songwriter nach seinen skurrilen Eskapaden wieder mit seinen Wurzeln zu versöhnen, im musikalischen wie familiären Sinn: Stevens setzt sich auf den elf Songs mit seiner Mutter und seinem Stiefvater auseinander, mit all den emotionalen Höhe- und Tiefpunkten, die solch ein erwachsenes Album hervorrufen sollte.


Tobias Jesso Jr.: Goon

original_Tobias_Jesso_Jr._-_Goon_250Es ist schon sehr unverschämt, wie der junge Typ quasi der fleischgewordene Traum aller Schwiegermuttis und Frauen ist. Das Schlimmste ist, dass der Musiker aus Kanada auch noch bei der Männerwelt gut ankommt. Warum? Ganz einfach: weil er es verdammt nochmal drauf hat. Denn selbst, wenn man seinen Charme und die Locken außer Acht lässt, muss man sich eingestehen, dass der junge Singer-/Songwriter sein Können beherrscht. Das Gefühl und die Leidenschaft mit dem er die Songs mit seinem Falsett aus dem Debüt Goon vorträgt, lässt einen zurückdenken an Zeiten in denen das Singer-/Songwriter-Dasein noch etwas Ehrenvolles war.


Fichon & Yannick

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