Alben des Sommers 2016

BADBADNOTGOOD: IV

BADBADNOTGOOD stehen schon seit ihrem Debüt zwischen den Stühlen Hip-Hop und Jazz. Auf ihrem vierten Album (die Ghostface Killah Kollabo Sour Soul nicht mitgerechnet) verwässern sie die Grenzen noch mehr und holen mit Samuel T. Herrings Gecroone und der elektronischen Produktion von Kaytranada zudem weiter aus. Die Beförderung von Gitarrist und Saxophonist Leland Whitty zum vollständigen Bandmitglied trägt darüber hinaus zu einer erweiterten klanglichen Palette bei. IV ist bereits das zweite BBNG Album, das keine Coverversionen enthält. Ganz ehrlich: Die brauchen sie auch nicht mehr.


DM Stith: Pigeonheart

Auch DM Stith weiß sich weiter zu entwickeln. Parallel zu Justin Vernon, und wie vor ihm schon Sufjan Stevens, in dessen Band er gespielt hat, hat sich der Multiinstrumentalist aus Brooklyn für den Karriereweg „vom Folkie zum Electrokünstler“ entschieden. Glücklicherweise geht diese Art Evolution erstaunlich häufig ohne Verlust der dem Folk verhafteten Wärme über die Bühne. So auch auf Pigeonheart, dem nach langer Wartezeit nun endlich erschienenen zweiten DM Stith Album.

„Murmurations“ ist mit seinem Stimmgewirr ein eindeutiges Echo des aufgeregten Debüts Heavy Ghost; darauf folgt „Cormorant“, das den Brummbass deutlich der Akustikgitarre unterordnet und sogar noch mehr Waldgeister hervorruft als Grizzly Bear. Anderswo wagt sich Stith in Synth Pop- („Sawtooth“) und undefinierbare Tribal-Gefilde („Rooster“) vor und kehrt durchweg mit positiven Entdeckungen zurück. Entdeckungen, die man als Hörer mit Heavy Ghost machen durfte und mit Pigeonheart erneut macht.


Metronomy: Summer 08

Was unterscheidet Metronomy von anderen Bands, die tanzbare, halb-elektronisch halb-organische Popmusik machen? Was hat Joe Mount, das Alexis Taylor, Luke Jenner und der Sänger von Is Tropical nicht haben? Seit Nights Out, der bittersüßen Reise durch die Nacht, mit der sich die Band um den Briten von der Konkurrenz abgegrenzt hat, ist es der melancholische Blick auf das Leben – sei es im Club, am Strand oder in der Korrespondenz zwischen zwei (ex-)Liebenden.

Acht Jahre nach Nights Out ist im Juli der spirituelle, im Voraus als fröhlich angekündigte Vorgänger erschienen, das Days Out sozusagen. Entgegen aller Erwartungen – die „bright side of the Mount“, wer will das denn hören? – ist Summer 08 eines der besten Alben von Metronomy und in Wahrheit ein stilistisches Update der Stimmung auf Nights Out. Wo auf den beiden Vorgängern ein paar Schwachstellen vorhanden waren, fügen sich sogar die Ausreißer „Old Skool“ (emotional platt im Vergleich zum Rest) und „Mick Slow“ (slow und schmalzig) in das Gesamtkonzept des Albums. Ein Highlight des Sommers!


Nao: For All We Know

Anfang des Jahres stand sie auf unserer Alternativen Liste der besten Künstler 2015. Ein knappes dreiviertel Jahr später ist die Debüt LP nun da und weiß zu überzeugen. Die Formel „hier ein bisschen R&B, dort ein bisschen Funk“ gilt immer noch, drei der 14 Songs (plus vier Interludes) stammen noch von den ersten beiden EPs. Zwei weitere, „Fool to Love“ und „Girlfriend“, gab es als Singles ebenfalls schon zu hören, aber auf For All We Know bietet die Britin noch mehr.

Hip-Hop Beats à la Dre („Happy“), Spannung aufbauende Percussion und ein dramatischer Ausbruch (In the Morning“), Disco R&B, der positiv auf den Anfang des Jahrhunderts zurückverweist („We Don’t Give A“/„Give Me a Little„) und mit Trophy“ sogar ein weiteres A. K. Paul Feature. Sieht so aus, als müssten wir sie gar nicht mehr auf unsere Alternative Liste setzen – die Aufmerksamkeit der großen Musikmagazine hat sie sicher.


Sarathy Korwar: Day to Day

Day to Day, das erste Album des indischen Perkussionisten Sarathy Korwar, gilt für uns wegen seiner transgressiven Energie schon seit zwei Monaten als eines der Alben des Jahres. Die neun Songs wurden in Gujarat aufgenommen, ziehen Elemente aus indischem Folk und ostafrikanischem Jazz und wurden von Korwar, der auch als Produzent tätig ist, elektronisch verfeinert.

„Ungeachtet des geografischen Kontextes Indien/Ostafrika schafft Sarathy Korwar Grenzen ab – geografische, gattungsspezifische, solche zwischen jazziger Improvisation, verzaubernder Folkmusik und elektronischer Verzierung. Zwischen Unterhaltung und Kunst. Was die Grenzenlosigkeit dieser Musik betrifft, steht Day to Day Seite an Seite mit Darksides Psychic, Colin Stetsons New History Warfare Vol. 3, Brigitte Fontaines Comme à la radio oder Pharoah Sanders‘ Karma.“

Die komplette Review lest ihr hier. 


Gonjasufi: Callus

Der Titel von Sumach Ecks‘ drittem Album als Gonjasufi bedeutet übersetzt „Hornhaut“. Die braucht man in gewissem Sinne, um sich Callus anzuhören, denn selbst für die, die den amerikanischen Sänger mit seinem chaotischen Debüt A Sufi and a Killer entdeckt haben, ist es eine unglaublich schmutzig und kantig klingende Sache. Noch ist es nicht ganz der brachiale Angriff, den wir Death Grips, B L A C K I E und clipping. immer wieder auf uns verüben lassen, aber die Produktion der 19 Songs allein lässt schon solche Vergleiche zu. Wer hinter das Gitarrengeschrei, die schleppenden Drums und das Kratzen von Ecks‘ Stimme hören kann, entdeckt dafür eine raue, bluesige Schönheit und eine Ahnung von existentieller Ruhe.


Roosevelt: Roosevelt

Marius Lauber hat es überall hin geschafft: in den Boiler Room in Berlin, auf das Electronic Beats in Prag, auf seiner eigenen Headlinetour in die Staaten. Und Anfang des Monats endlich in die deutschen Album Charts. Da ist er zwar nur zwei Wochen auf Platz 27 hängen geblieben, aber das dürfte dem Kölner Produzenten und früheren beat!beat!beat! Drummer (wie süß sie damals waren) relativ egal sein. Roosevelt ist durch und durch Pop, und falls hier noch jemand dran erinnert werden muss: Pop ist kein Schimpfwort mehr. Lauber hat alles richtig gemacht.


Sea Moya: Baltic States EP

Was die Hipness angeht, gibt es immer bestimmte Orte mit bestimmten Szenen. Köln für Electropop, Berlin für Techno, Landau für die rockigen Newcomer. Was aber, wenn eine Band daher kommt, die nicht aus einem der Hotspots Deutschlands stammt, sondern aus Mannheim, und dazu noch Musik macht, die sich solch einfacher Kategorisierung erwehrt? Versuchen wir es ganz nüchtern: Das Trio Sea Moya besteht aus Synths, Gitarre, Bass und Schlagzeug, klingt mal afrofunky („Nothing Is Real“), mal wie die kleinen Cousins von Battles („Photographs“), dann wieder verträumt-langsam, aber mit Gastrapper („Bedroom“). Baltic States ist die zweite EP und mindestens genauso hip wie Roosevelt, Moderat oder Drangsal.


Wild Beasts: Boy King

Zwei Jahre ist es her, dass die Wild Beasts um Sänger Hayden Thorpe mit Present Tense ein wahrhaftiges Opus voller Zärtlichkeit, Erwartung, lauernder Dunkelheit und simpler Schönheit geschaffen haben. Im August wartete der Nachfolger Boy King dann mit krasser 80er Optik, sexualisierten Songs à la „Tough Guy“ und „Get My Bang“ und einer unverhohlenen und unverhohlen maskulinen Aggressivität auf. Bisher nur Wild Beasts im Namen, hat sich das Quartett aus England auf die andere Seite des Spiegels begeben, um von innen heraus die manichäische Aufteilung in „alpha males“ und zartbesaitete Künstlertypen in Frage zu stellen. Der Kopf auf dem Cover, der titelgebende Boy King, ist weder Mann noch Kind, sondern wie jeder Mensch ein bisschen von beidem. Die Wild Beasts wissen diesen inneren Kampf wie niemand sonst in Musik zu fassen.

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