Die besten Songs des Monats – #Jan

Der erste Monat des Jahres ist vorbei, der Frühling scheint in weiter Ferne. Um der Dauer des Winters auszuweichen, haben wir die besten Songs des Monats Januar zusammengesucht.

Tocotronic – Electric Guitar

Um keine Veröffentlichung reißen sich Feuilleton und Musikpresse wie um ein neues Album der vier Mittvierziger Tocotronic. Zu zuverlässig entzieht sich die Band dem Sinnverlust der Radiocharts, zu sicher schreibt Dirk von Lowtzow auch auf dem nächsten Album keine Hitsingle , sondern das nächste Meer an textlichen Feinfühligkeiten. Was beim Lesen der journalistischen Schwärmereien ob der Perfektion der Lowtzowschen Autofiktion wirkt, als wären die Songs der Hamburger der einsame Leuchtturm an musikalischer Poesie, die sich im Land der Autobahnen und der mehr oder weniger kontrollierten Kollektivneurose, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es derzeit sehr wohl Musiker*innen gibt, die qualitativ auf den Pfaden von „Pure Vernunft Darf Niemals Siegen“ wandeln. Dennoch ist es immer wieder aufs Neue ganz wunderbar, in die Tiefe von Bildern wie Teen Age Riot und Manic Depression im Reihen- und Elternhaus einzutauchen. „Electric Guitar“ ist direkt und nahbar am Erzählten, melodisch sanft und macht es fast zum Unmöglichen, nicht dabei sein zu wollen, wenn  auf Albumlänge vom zur Welt kommen, Aufwachsen und Sterben erzählt wird.

Leyya – Heat

Kollaborationen mit Noisey und der BBC, vorgestellt von Magazinen wie Crack und Complex und dieses Jahr ein Auftritt beim SXSW in Austin. Popstars tragen demnach Namen wie Lindinger und Kleebauer, anmutig und bis zum letzten Buchstaben Glamour. Die Musikszene Österreichs, besser gesagt die Künster*innen aus dem Land der stilvollen Todessehnsucht, exportieren den nächsten internationalen Hingucker und mit dem Popduo Leyya scheint es an Bekanntheit dieses Mal noch weiter als bis Basel, Wien und Berlin zu reichen. Der Elektro-Pop, der an eine Mischung aus Lilly Allen und Kevin Parker erinnert, ist eingängig und mit Sicherheit perfekt für Zielgruppen von BBC ONE und FM4, weist aber einen immer klarer werdenden originellen Stil auf, mit dem sich Leyya dieses Jahr sicherlich eine größere Hörerschaft sichern werden.

Porches – Now The Water

Hier ein Tipp aus dem Bereich „Songs, deren Künstler*innen man ja per se ganz nett findet, aber dann doch nie ins Album reinhört“. Aaron Maine sieht aus, als hätte ihn eine Urban Outfitters Filiale in die Unendlichkeit der mit hellem Holz beschlagenen und mit Patches bestickten Oberflächlichkeit gesaugt und zum Archetyp des männlichen Instagram Models geformt: Frecher Ohrring, Fähigkeit zu Lächeln auf ein Minimum reduziert, Anteil von Körperfett und Muskelmasse ausproportioniert. Jenseits dessen liegt ein Album, auf dem Maine mit seiner Band Porches tief in Sentimentalitäten eintaucht, keine Scheu vor der Traurigkeit in Einsamkeit und Softness zeigt, was Songs wie „Now The Water“ in der Leichtigkeit der Produktion, für die Maine auf diesem Album größtenteils allein verantwortlich ist, zu melancholischen Balladen mit Charme macht. Steigt man durch die Heuchelei der eigenen Oberflächlichkeit, findet man einen jungen Künstler, dem nicht alles recht gelingen will und dessen Album deswegen gelungen ist.

DJ Koze – Seeing Aliens

Der erste Blick auf Stefan Kozallas neues Album ist ein achtminütiges Synthie Wabern, auf dem vieles nicht am erwartbaren Platz ist. Die Geräuschkulisse überlagert sich wellenartig und jagt isolierte Höhen wie Raketen durch die Atmosphäre. Knock Knock wird das im Mai erscheinende Album des Flensburger DJs und Produzenten heißen, es soll Samples von Bon Iver und gesangliche Gastauftritte von unter anderem José González und Sophia Kennedy beinhalten. Psychedelische Experimente zwischen Techno und House bleiben demnach Kozes Steckenpferd, mit dem sich bisher eine breite Fangemeinde auch außerhalb der Clubs und Raves gewinnen ließ. „Seeing Aliens“ wird gemeinsam mit der bisher unveröffentlichten B-Seite „Nein König Nein“ als EP veröffentlicht werden.

Hayiti – Monaco

Es klingt immer noch spontan und unkompliziert produziert, das Debütalbum von Haiyti. Und trotzdem haben Songs wie „Monaco“ und „Gold“ einen ausbalancierteren Klang als die frühen Mixtape- und Singleveröffentlichungen, der dem Sound der Hamburgerin trotz dem oberflächlich unaufhörlich billig glitzerten Trash Tiefe verleiht. Was beim ersten Hören nach Dorfdisko Techno klingt, ist vom Produzententeam Kitschkrieg bewusst als minimalistisch gehaltene Einrahmung für die sich durchgehend wiederholenden Texte Haiytis gedacht. Die haben lyrische Edelsteine wie „Ich sonne mich im Blaulicht“ in sich oder sind, wie in „Monaco“ so kurz gehalten, dass sich Beats und Text hinsichtlich ihrer Vielfalt die Waage halten. Haiyti lebt in ihren Songs in diversen Trap Klischees, dem Drogenrausch, dem ekstatischen Verprassen des milliardenschweren Einkommens und lässt immer wieder sowas wie Empfindsamkeit durchblitzen, eine sanfte Form der Emotionalität schwebt mitunter zwischen Koks in den Nasen und Champagner auf dem Designerkleid.

Die Nerven – Frei

Während Max Rieger im vergangenen Jahr vor allem damit beschäftigt war, seiner Arbeit als Produzent nachzugehen und damit unter anderem das neue Album der Drangsal abzuschließen, gibt es gleich zu Beginn Neuigkeiten seiner Band Die Nerven aus Stuttgart. Soll heißen, neue Musik auf Albumformat, am 20. April. Auf der ersten dazugehörigen Veröffentlichung klingen Die Nerven immer noch nach dreckigem Post-Punk, experimentell und zornig. Wutabbau durch neue Wut, so klingt die Befreiung der Nerven, ein Schreien im Gitarreninferno. So viel klarer Punk war lange nicht mehr in Riegers Arbeiten mit den Mausis oder Stella Sommer von Die Heiterkeit. Ob sich der Trend zur Aggression und zum proklamierenden Text fortsetzt, kann dann im Frühling auf Fake erfahren werden.

Troye Sivan – My My My!

Das neue Jahr ist keine zwei Wochen alt und der erste Hit für alle kommt um die Ecke. Der 22 jährige Australier Troye Sivan, seit seinem Debüt Blue Neighbourhood gefeierter Teenager der LGBTQ Community, singt euphorisch vom nicht aufzuhaltenden Rausch früher Verliebtheit, tanzt im Video lasziv im Unterhemd ekstatisch durch seine Pophymne. Ein schwuler Popstar für die Generation Youtube, der die Einfachheit des Refrains von „My My My!“ mit spielerischem Anmut und Bewegungen für sechs Wochen Party faszinierend erscheinen lässt. Nach einem Auftritt im amerikanischen Fernsehen bei Saturday Night Live und einer weiteren Single, erscheint es wahrscheinlich, dass in Bälde auch ein Album veröffentlicht wird. Mit der Euphorie von „My My My“ und der bisher präsentierten Persona könnte hier eines der Popalben des Jahres in der Warteschleife stehen.

Isolation Berlin – Marie

Tobias Bamborschke hört auf der zweiten Veröffentlichung vor dem Erscheinen des neuen Albums am 23. Februar für einen Moment auf, die zerbrochene Liebe und die darauffolgende und alles umfassende Einsamkeit mit Gift und Galle zu bewerfen. „Trockne deine Tränen“ singt er immer wieder, fast sanft wirken Isolation Berlin für etwas mehr als vier Minuten. Ein vergebendes Album, auf dem die Trauer überwunden wurde, wird Vergifte Dich wahrscheinlich dennoch nicht werden, dafür sind Wut und Verbitterung doch viel zu sehr verinnerlicht im Erzählen Bamborschkes. So zu sehen gewesen zum Beispiel auf seiner Lesereihe zum Gedichtband mit dem Titel Mir Platzt Der Kotzkragen. Wenn der Winter also Ende Februar nochmals zurückkommen sollte, gibt es da ein Mittel, dass das Leiden, die Sehnsucht und den Zorn katalysieren kann.

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