Pop & Eskapismus I+II: Oracles im Interview

Die Oracles beim SXSW // © Dustin Juengel.
Die Oracles beim SXSW // © Dustin Juengel.

Joseph Mount von Metronomy hat kürzlich in einem Interview gesagt: „Music is about moving or dancing. If the kids don’t care about what you do, you should think about what you’re doing, because pop music is for teenagers.“ Seht ihr das auch so?

Joshua: Ich würde nicht sagen „pop music is for teenagers“, es sei denn Teenager sind schlicht Leute, die begeisterungsfähig sind. Ich bezeichne viel als Popmusik, von dem andere Leute sagen würden, es sei gar keine. Es gibt Leute, die sagen, „eigentlich ist nur Madonna und Michael Jackson Popmusik“, oder Britney und Justin. Aber ich finde, zum Beispiel, dass wir zu einem großen Teil auch Popmusik machen. Weil ich finde, dass Popmusik viel mit Harmonien zu tun hat und mit einer Lust an Melodie…

Niklas: … und einer Lust auf eine gewisse Konsumierbarkeit.

Joshua: Genau, und das ist auch total ok. Ich finde nämlich nicht, dass das etwas Kunstloses wäre im Vergleich zu anderen Musiken. Wenn ich mir eine Todd Rundgren Nummer anhöre und die ist unglaublich poppig, dann bewundere ich die Art und Weise, wie er die Melodien aufeinander schichtet.

Niklas: Es stimmt schon insoweit, dass Popmusik andere Maßstäbe hat als andere Musiken, oder dass man sich im Rahmen darauf einigt, dass es ein bisschen zugänglicher ist. Ich finde es unglaublich spannend, wie man in die kleine Form, die vorgegeben ist, so viele unterschiedliche, konzise Sachen reinpacken kann. Das ist im Prinzip wie wenn man ein Gedicht schreibt, man hat eine krasse Formvorgabe. Kann auch sein, dass man erwachsener wird und sich in mancherlei Hinsicht nicht immer weiter auf ein Ding festfährt. Es fallen immer mehr Sachen weg, die ich kacke finde.

Joshua: Ich glaube, dass ich gerade als Teenager mit Popmusik überhaupt nichts anfangen konnte, sondern eher Sachen gehört habe, die meinen Eltern noch auf den Sack gehen konnten. Als 15-Jähriger war ich auf jeden Fall weniger offen für Popmusik, als ich es als 25-Jähriger bin. Gerade als Musiker. Bis auf Skapunk und Balkan Beats vertrete ich auch die Meinung, dass es in jedem Genre was Spannendes gibt.

Niklas: Ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass es nicht so exklusiv wäre, dass Pop nicht eine Sache wäre, die für irgendwen eingeschränkt ist. Und dass wir jetzt halt keine freie Improvisation von 20 Minuten auf die Platte packen würden ist halt auch klar, nicht?

A propos Jammen: Experimentiert ihr viel im Studio?

Joshua: Es war jetzt unser erstes Album, das wir so aufgenommen haben. Die Demos sind viel vorproduziert. Soundmäßig wurde für die Platte eher im Schlafzimmer experimentiert als im Studio. Obwohl wir nur drei Wochen aufgenommen haben, haben wir dann doch auch relativ viel experimentiert, gerade mit Percussion und sowas wie Re-Amping. Also dass man Klänge, die eigentlich außerhalb des Studios entstanden sind, so mitnehmen wollte, weil die spontan und gut waren. Das Studio war ja auch kein Studio als wir da reingegangen sind. Es war ein mehr oder weniger leeres Bauernhäuschen, in das wir unsere Sachen und ein paar ausgeliehene Dinge reingestellt haben. Wir haben eigentlich nur eine sehr ausgeprägte Form des Home Recordings betrieben. Das hört man der Platte auch an, dass die Klänge sich auch unter den Songs sehr unterscheiden. Das ist ja nicht Bass-Schlagzeug-Gitarre und dann rocken wir da mal eine halbe Stunde so eine Platte durch, sondern es ist viel filigraner Scheiß, der da passiert.

Aber es ist nicht so, dass wir sagen, „so und jetzt experimentieren wir mal eine halbe Stunde“. Wenn man einen Song schreibt und aufnimmt, sitzt man da am Synthesizer und modelliert sich einen Sound. Ziemlich ähnlich passiert das auch mit einem akustischen Instrument wie dem Schlagzeug. Da sitzt Niklas dann genauso und dann wird bei einer Aufnahme mal ein Tuch auf die Snare gelegt oder der große Raum ausprobiert. Man muss auch sagen: Wenn wir die Kohle hätten, um in einem Studio ein Jahr lang aufzunehmen, dann würde wahrscheinlich auch das Experimentieren ein wenig mehr Raum kriegen.

Auf dem Song „Constellations“ singt ihr über den Sternenhimmel und Fantasiegestalten. Seid ihr zum Eskapismus konvertiert?

Niklas: Nein, das ist eigentlich ganz anders. Man ist auf der Erde immer beschäftigt und rackert sich ab; der Song beschreibt den Moment, in dem man merkt, was so über einem passiert und dass eigentlich, auf eine relativ schöne Art und Weise, gleichgültig ist, was man macht, wenn man sich das alles mal so anguckt. Und die „Nacht voller Gespenster oder Dämonen“ bedeutet, dass man sich in Gefilden bewegt, wo vielleicht manchmal merkwürdige Sachen passieren können. Oder, ein bisschen paranoid, dass Sachen um die Ecke darauf warten, einem Schaden zufügen zu können bei dem, was man macht.

Joshua: Ich glaube nicht, dass wir Personen sind, die dazu neigen, sich in so romantischem Kram zu verlieren und das, was in der Welt draußen passiert, nicht mehr wahrzunehmen. Musikalisch gesehen gibt es mit Sicherheit auch einen Aspekt, der ein Stück weit ein Eskapismus ist. Aber auch nur insofern, dass man sich in der Musik verliert und sich das natürlich auf eine Art und Weise von der Realität – oder von einer der Realitäten, die es gibt – entfernt. Es ist eher ein Draufblicken als ein Nichthingucken, wie es jetzt beim Eskapismus passieren würde. Ein Erkennen von Strukturen und…

Niklas: … von seiner eigenen Position innerhalb von Bestehendem. Ob das jetzt Konstellationen sind, die man am Himmel ziehen sieht, oder das, was hier unten passiert.

Also der Weltraum nicht als Ort, in den man sich flüchtet, sondern als das das Irdische Umschließende…

Joshua: … und die Sternenkonstellation als Bild für Konstellationen, die hier auf der Erde genauso stattfinden, anziehende und abstoßende Kräfte, die wirken. Die Texte sind trotzdem immer so verfasst, dass wenn du da irgendeinen Eskapismus rausliest, ich auch nicht sagen würde, das wäre komplett falsch. Das wäre zwar dann nicht unsere Intention oder unser Gefühl in dem Moment, aber das finde ich genauso zulässig. Wir benutzen deshalb so eine Bildhaftigkeit, damit es diesen Raum für eigene Ideen gibt. Es ist schön, wenn da andere Sachen daraus entstehen, die nicht in unserer Intention lagen.

Bei Musik, wie ihr sie macht, ist oft von Retromanie die Rede. Auch wenn man Bedroom Eyes anhört, dass es ein Album des 21. Jahrhunderts ist – wieviel Nostalgie steckt in euch und euren Songs?

Joshua: Ich würde es nicht Nostalgie nennen.

Niklas: Sammelfreude, Freude an verschiedenen Musiken. Ich glaube wirklich, da ist keinerlei Wunsch, sich in irgendeine vergangene Zeit zu katapultieren.

Joshua: Ich verstehe ja die Idee dahinter, dass eine Band wie Oracles mehr an den Siebzigern hängen könnte als an irgendwelchen aktuellen Trap Beat oder R&B Geschichten. Aber wenn du dir die ganzen Nasen anguckst, die fischen auch nur in der Referenzsuppe rum, also… der Undercut sitzt und die Buffaloschuhe, und der Beat klingt nach Miami Bass von ’92… Wenn jemand wie Kevin Parker von Tame Impala sagt, ihn gäbe es nicht ohne Air – hör dir mal die Moon Safari an, die ist ja eine einzige Sixties/Seventies/Serge Gainsbourg-Erotik-Referenz. Es ist genauso wenig das Original, und ich verstehe nicht ganz, wo da das Original gesucht wird. Denn nichts ist das Original, und das ist auch das Geile daran. Es kann ja trotzdem sehr originell sein, sehr ehrliche Musik oder auch ästhetisch aufgeladenes Zeug, das total unecht wirkt und gerade deswegen gut ist.

Man muss auch sagen: Oracles ist eine Band, in der wir spielen. Schon unser aller Hauptprojekt im Moment, aber genauso haben Nils und ich dieses Jahr unser erstes Techno Release herausgebracht. Dann macht Niklas eine Platte mit Jan Schulte zusammen, auch Tanzmusik, und Hanitra spielt jetzt bei Die Heiterkeit Bass.

Niklas: Also das Argument gilt ja trotzdem für alles, dieses Simon Reynolds Ding. Aber du musst dir auch die generelle Situation in der Kunst vergegenwärtigen. Was willst du da noch Krasses machen? Da haben sich die Leute schon etliche Notationssysteme und eigene Musiken erdacht. Und der Typ von Boredoms ist mit seiner alten Band [Hanatarash, Anm. des Red.] mit einem Bagger rumgefahren und hat den Club auseinander genommen. Es ist halt sehr schwer, heute noch eine Marke zu setzen.

Joshua: Das ist eben genau das, weshalb du sagst, „jetzt kommt die typische Musikjournalistenfrage“…

Es wird eben immer versucht, etwas zu konstruieren.

Niklas: Selbstverständlich. Meine alten Kollegen, die kurz vor der Pension stehen und im Radio über Jazz reden, die sagen immer: „Über Musik kann man nicht sprechen.“ Alles, was man in der Hinsicht macht, ist ja Annäherung, der Versuch einer Wortfindung über etwas, das sich dem geschriebenen Wort entzieht und dessen Essenz immer schwindet.

Joshua: Aber wenn du einen Begriff wie „Retromanie“ nimmst, wird was anderes daraus gemacht. Dann wird versucht zu pathologisieren. Ich glaube ehrlich gesagt, dass wir an einem Punkt angekommen sind, wo wir hinter diesen Strömungen liegen, weil jede Subkultur sich sowieso mit der nächsten paart und alles offen ist. Es ist nun mal nicht mehr so, dass die Punks in dem einen Laden chillen und in dem nächsten die Rocker, und da sind die New Waver mit asymmetrischen Frisuren und dort die Typen, die ausgebeulte Anzüge tragen und Jazz hören. Heute sind wir alle im gleichen Topf und dann muss man nicht mehr von oben herab diese komischen Mützchen stricken, die jeder aufgesetzt kriegt. Heute kriege ich ein rotes Mützchen und mit meinem nächsten Projekt dann ein blaues. Die nächste Platte wird vielleicht Battle Rap!

Habt ihr das nächste Oracles Album auch schon im Kasten?

Joshua: Ich kann schon mal verraten, dass wir mit der Band Fenster was machen werden. Irgendwann dieses Jahr kommt da auch ein Tonträger raus. Außerdem werden wir mit denen, nachdem wir selber auf Tour waren, in den Wintermonaten eine spezielle Tour machen. Ich denke, wir werden uns jetzt im Sommer hier ein Studio suchen und über das Jahr hinweg aufnehmen. Mal gucken, wie sehr die Aufmerksamkeitsspanne der Leute so reicht, wie lange sie [mit Bedroom Eyes] entertained sind. Zur Not machen wir uns demnächst einen Snapchat Account und dann könnt ihr uns 20 Stunden am Tag folgen. [lacht] Irgendwann kommt dann bestimmt auch das zweite Oracles Album. „Das gefährliche zweite Album“, werden dann die Musikjournalisten sagen.

Niklas: „Sind sie dieser Aufgabe gewachsen?“

Was ist für euch der perfekte Freitagabend?

Niklas: Eskalation.

Joshua: Freitagabend ist perfekt für Kino und danach in der lauen Sommernacht noch ein paar Biere im Späti. Und dann wird man von irgendwem, der vorbeiläuft, noch auf eine Hausparty eingeladen.

„Thoughts of Love on the Verge of Sleep“:

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