Pop & Eskapismus I+II: Oracles im Interview

Nichts ist das Original, und das ist auch das Geile daran.

Im Sommer vor zwei Jahren tauchten die Oracles wie aus dem Nichts auf den großen Festivalbühnen auf und wurden mit der EP Stanford Torus zu den angesagtesten Newcomern Deutschlands. Zwei Jahre später erschien dann, nach Labelwechsel und einem leichten Abflauen des Hypes, das lang erwartete Debütalbum. Wir haben uns daraufhin mit zwei Köpfen des Köln/Berliner Quintetts, Joshua Gottmanns und Niklas Wandt, per Skype über ihre neuen Songs und, vor allem, über Gott und die Welt unterhalten.


Im Mai habt ihr mit Bedroom Eyes euer erstes Album veröffentlicht. Was hat es mit dem Titel und dem Cover auf sich?

Niklas: Die „bedroom eyes“ finden sich im Text zu „Thoughts of Love on the Verge of Sleep“. Nach gefühlt 20.000 verschiedenen, auch total schwülstigen und umständlichen Titelvorschlägen war das dann der Minimalkonsens. Gedanken an Liebe und Erotik, während man gerade voll am Wegdämmern ist. Das Cover ist dann mit dem Titel im Hinterkopf entstanden.

Joshua: Ich bin mit einer Filmkamera durch Berlin-Neukölln gelaufen und habe ein paar Sachen gefilmt, die mir interessant vorkamen. Irgendwann bin ich bei diesem Elektronikgeschäft Batman vorbeigelaufen. Der Besitzer dieses Ladens baut mit seiner Schwester bewegte Skulpturen, unter denen auch dieser Kopf dabei war. Diese Skulptur trägt, glaube ich, den Titel Digitale Demenz. Wir hatten ja vorher schon das Omega anstatt des ‚O‘ als Symbol und diese Figur hat tatsächlich Augen mit einer LED-Anzeige, in der das Omega und andere verschiedene Symbole ablaufen. Das habe ich dann abgefilmt, und als es dann um ein Cover ging und wir den Titel Bedroom Eyes hatten, ist mir die Skulptur wieder eingefallen.

Zu dem Titel kann ich noch sagen, dass der, wie ich finde, sehr gut zu der Stimmung des Albums passt, weil wir eine sehr verträumte, entschleunigte Platte gemacht haben. Im Grunde fanden die Albenaufnahmen auch in einem Dämmerzustand statt. Wir haben drei Wochen in dem Haus verbracht, in dem wir aufgenommen haben. Da waren wir konstant in einem Loop drin, mit wenig Schlaf und viel Musik. Also diese „bedroom eyes“ beziehen sich gar nicht mal nur auf etwas Erotisches, sondern auch auf diese Zwischenwelt, in der wir die Platte aufgenommen haben.

Ihr habt das Album bereits im Februar 2015 aufgenommen. Warum hat es bis zur Veröffentlichung nochmal 15 Monate gedauert?

Joshua: Wir waren zur EP noch bei dem Label Clouds Hill in Hamburg. Da gab es relativ lange Verhandlungen, ob und wie wir unser erstes Album herausbringen würden. Schlussendlich ist es dann nicht dazu gekommen, weil wir uns nicht einigen konnten. Was uns zu dem Zeitpunkt schon ein bisschen aus der Bahn geworfen hat, insofern dass die Platte eigentlich auch schon im Dezember 2014 hätte aufgenommen werden sollen. An diesem Label angeschlossen ist auch ein wunderbarer Studiokomplex, wir dachten eigentlich, dass wir da arbeiten würden. Im Endeffekt standen wir dann Anfang 2015 ohne alles da, aber halt mit dieser Platte in Demoversion.

Wir haben dann relativ zügig im Norden Deutschlands einen Bauernhof gefunden, der den Eltern von einem über zwei Ecken bekannten Schlagzeuger gehört. Da haben wir unser Heimstudio eingerichtet und die Platte aufgenommen. Für uns war auch klar, wir nehmen jetzt ohne Kompromisse die Platte so auf, wie wir es wollen und mischen und produzieren sie selber. Da wir ja auch alle keine hauptberuflichen Musiker sind und zu dem Zeitpunkt auch noch nicht in der gleichen Stadt gewohnt haben, hat das tatsächlich ein bisschen gedauert, die Platte zu mischen, weil wir da auch viel zusammen dran gearbeitet haben. Und dann eben nochmal die Zeit, die es braucht, ein Label zu finden, plus die Zeit, die sich so ein Label für die Promo nimmt und um die Platte zu pressen. Dann können da schon mal anderthalb Jahre draus werden.

Bedroom Eyes ist im Ganzen viel ruhiger als eure erste EP Stanford Torus, so als wolltet ihr die Hörer nicht mehr zum Tanzen, sondern zum Tagträumen bringen. Wie kommt das?

Joshua: Es kommt drauf an, auf welcher Geschwindigkeit man tanzen kann. Ich glaube, das ist ein wunderbares Engtanz-Album. [lacht] Ich finde ehrlich gesagt, dass es ein richtiges Album ist. Es sind nicht vier Songs, die man im Sommer gut hören kann, und der Rest ist irgendwie egal; ich würde schon behaupten, dass Bedroom Eyes von vorne bis hinten ein stimmiges Album ist und vor allem in dem Format Sinn macht. Alles in allem haben wir die Songs ausgewählt, die zusammen eine Geschichte erzählt oder ein stimmiges Bild abgegeben haben. Wir hätten auch aus den Demos noch vier Tanznummern dazu nehmen können, damit das Melt!-Publikum auch noch darauf abfährt. Aber dann wäre es nicht das Album, das es ist.

Niklas: Vielleicht haben wir in der Zwischenzeit ein bisschen das Interesse daran verloren. Das hat ja auch viel damit zu tun, was man in der Zeit hört, und was für einen Vibe das hat. Und das war unheimlich viel extrem fluffige Musik.

Joshua: Ich bin ganz froh, dass es jetzt so ein Album geworden ist, weil ich ehrlich gesagt glaube, dass das immer seltener wird. Wir sind ja alle begeisterte Konsumenten auch aktueller Musik – wir buddeln nicht nur in den 80ern abwärts – und mir fällt einfach auf, dass gerade innerhalb der letzten zehn Jahre unglaublich wenig Alben gemacht wurden, die man sich noch „als Album“ anhören kann. Du kannst ja auch über zehn Jahre jedes Jahr nur einen Song picken und das funktioniert trotzdem homogen, obwohl es nicht in einem Zyklus entstanden ist.

Wie entscheidet ihr, wer auf einem Song singt? Ist es immer der, der den Text schreibt, oder gibt es da andere Kriterien?

Joshua: Die meisten Texte auf der Platte hat eigentlich Niklas geschrieben. Es ist tatsächlich eher der, der die Songs schreibt. Ich habe so ungefähr sieben Songs geschrieben. Natürlich haben die anderen auch immer wieder ihre Anteile dran, aber die Songs, bei denen ich zumindest das Instrumentarium soweit gestrickt hab, singe ich glaube ich auch. Und dann gibt es einen Song, den Nils und ich zusammen geschrieben haben. Das ist „Constellations“, den singt der Nils, wobei Niklas den Text geschrieben hat. Im Grunde ist es am Ende immer auch ein Bandprodukt, wie du merkst.

Niklas: Wir trällern da ja alle ganz fröhlich im Hintergrund.

Joshua: Was wir nicht haben – das wird bei der nächsten Platte wahrscheinlich auch ganz anders sein – ist ein Hauptsongwriter, also es hätte auch genauso gut sein können, dass der Nils alle Songs schreibt.


Auf der nächsten Seite geht es weiter mit Gedanken zu Popmusik, Eskapismus und Retromanie.


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